Aus einer aktuellen Diskussion im Netz (auf den Punkt gebracht?):
... Ja, die Entwicklung der Kirchenmusik ist ein deutliches Symptom für den Niedergang der Kirche – nicht nur in Deutschland, sondern in weiten Teilen der westlichen Welt. Besonders das sogenannte Neue Geistliche Lied (NGL) ist ein Beispiel für eine theologische, ästhetische und musikalische Verwässerung, die sinnbildlich für die Krise der Kirche steht.
1. Vom Reichtum der Tradition zum musikalischen Einheitsbrei
Die katholische (und protestantische) Kirchenmusik war über Jahrhunderte hinweg ein kultureller und spiritueller Höhepunkt der westlichen Zivilisation. • Gregorianischer Choral, die Polyphonie der Renaissance (Palestrina, Lassus), die barocken Meisterwerke (Bach, Händel, Buxtehude), die romantische Kirchenmusik (Bruckner, Reger, Franck) – all das hat eine überzeitliche, sakrale Qualität, die Menschen geistig erhebt. • Auch in der Gemeindemusik gab es eine reiche Choralkultur, die über Generationen gepflegt wurde. Doch seit den 1970er-Jahren wurde diese große Tradition immer mehr durch das „Neue Geistliche Lied“ (NGL) verdrängt.
2. Das „Neue Geistliche Lied“ (NGL) als musikalischer Niedergang
Das NGL wurde ursprünglich als Versuch entwickelt, Kirchenmusik niederschwelliger, jugendlicher und emotionaler zu gestalten. • Statt klare, feierliche Strukturen zu haben, setzt es auf simple Melodien, triviale Harmonien und oft banale Texte. • Theologische Tiefe wird durch Gefühl ersetzt – viele Texte sind nicht mehr von allgemeiner Popmusik zu unterscheiden. • Die Harmonik erinnert oft an Lagerfeuer- oder Schlagerästhetik, was dem sakralen Anspruch nicht gerecht wird. • Viele Lieder sind subjektivistisch („Ich fühle mich geborgen in Gottes Hand“), während traditionelle Choräle Gottes Größe in den Mittelpunkt stellen. Das Problem: → Das NGL ist nicht sakral genug, um spirituelle Tiefe zu haben, aber auch nicht weltlich genug, um wirklich attraktiv zu sein. → Es ist ein ästhetischer Kompromiss, der nichts gewinnt – weder Traditionalisten noch junge Menschen finden es ansprechend. Beispiel: • Ein Choral wie Ein feste Burg ist unser Gott (Bach, Luther) oder Adoro te devote hat eine geistige und musikalische Wucht. • Dagegen wirkt Laudato si, o mi Signore oder Herr, deine Liebe ist wie Gras und Ufer eher wie ein harmloses Kindergartenlied.
3. Die Folgen für die Kirchenmusik und den Glauben
• Verlust an Qualität: Viele Kirchenchöre sterben aus, weil anspruchsvolle Musik nicht mehr gefördert wird. • Verlust der liturgischen Atmosphäre: Musik soll das Heilige vertiefen – stattdessen wird die Messe zur Wohlfühlveranstaltung mit Gitarrenspiel. • Ästhetischer Niedergang = Spiritueller Niedergang: Musik prägt das religiöse Erleben. Wenn die Musik banal wird, wird auch die Glaubenserfahrung oberflächlich. • Junge Menschen werden nicht zurückgewonnen: Die Annahme, dass „moderne“ Musik Jugendliche anspricht, ist falsch. ◦ Niemand geht in die Kirche, um schlechten Pseudo-Pop zu hören, wenn er echte Popmusik in besserer Qualität überall haben kann. ◦ Stattdessen wäre eine Rückbesinnung auf Qualität und Tiefe viel ansprechender – junge Menschen suchen oft das Authentische, Überzeitliche, Nicht-Alltägliche.
4. Fazit: Kirchenmusik als Spiegel des Niedergangs
• Das Abdriften in musikalische Banalität ist ein Symbol für die inhaltliche Verwässerung der Kirche. • Das NGL hat den Niedergang nicht gestoppt, sondern verstärkt, weil es nicht ernsthaft genug ist, um spirituelle Tiefe zu bieten. • Wenn die Kirche sich selbst musikalisch entkernt, verliert sie eine ihrer letzten großen Stärken. • Die Lösung wäre nicht Anpassung, sondern Rückbesinnung: Qualität, Tiefe, Sakralität – das, was zeitlos trägt, anstatt Trends hinterherzulaufen.
Kunst und Musik waren immer ein Indikator für den geistigen Zustand einer Kultur – und die heutige Kirchenmusik zeigt: Die Kirche ist in der Krise.
Ach ja, der gefühlt 1001ste Aufguss einer Diskussion, die seit 50 Jahren tobt und zu nichts geführt hat. Egal, ob traditionelle Kirchenmusik oder Neues Geistliches Lied (in der Praxis wurde meistens beides gemacht, mit Betonung mal der einen, mal der anderen Richtung, je nach Pfarrer, Kirchenmusiker, Gemeinde): der Niedergang der Volkskirchen ist unaufhaltsam weitergegangen (während die freien Kirchen mit ihrer meist ausschließlichen NGL- und Sakropop-Ausrichtung weiterhin florieren, allerdings in einem unvergleichbar kleineren Maßstab, der jeden Vergleich mit den großen Volkskirchen ausschließt). Die Ursache des immer rascher werdenden Niedergangs der Volkskirchen ist offensichtlich: Sie werden von immer größeren Teilen der Gesellschaft als unglaubwürdig oder nichtssagend empfunden, weshalb sich von Generation zu Generation mehr Mitglieder abwenden. Die Missbrauchsskandale - der theologische, ethische und moralische Bankrott der Volkskirchen - haben diesen Prozess noch einmal erheblich beschleunigt, der Abtritt der Boomer-Generation macht das dramatische Voranschreiten des Prozesses in den letzten 30, 40 Jahren erst jetzt richtig sichtbar. Angesichts dessen ist die Diskussion "traditionelle Kirchenmusik oder NGL" schlicht überflüssig geworden: es spielt keine Rolle mehr hinsichtlich der weiteren Entwicklung.
Ganz so dramatisch sehe ich das nicht und von einem "Verdrängen" kann (zumindest in meiner Pfarre) keine Rede sein. Bei Fernsehgottesdiensten werden die alten Klassiker nach wie vor gern gespielt und gesungen. In meinen Liedplänen findet man ungleich mehr alte Traditions-Choräle als NGL, aber zwischendurch auch mal ein NGL wird die reiche Kultur der sakralen Musik nicht killen, es gibt mindestens 2 NGL-Lieder, die ich persönlich mag und die auch und gerade auf der Orgel was hergeben:
Allerdings stammt bei bestimmten Veranstaltungen, "Jugendmessen" wie Firmungen und Erstkommunionen, in meiner Pfarre leider das gesamte Liedrepertoire aus der NLG-Kiste und wird von einer Art "Band" (Digitalklavier, Gitarren, (anspruchsloser) Gesang, manchmal Schlagzeug) in ziemlich simplen Arrangements vorgetragen, was mich nicht begeistert, ich zähle es zu den lästigsten Pflichten des Organistendaseins, wenn ich gebeten werde, bei so einer Veranstaltung nur Einzug und Auszug zu spielen, aber das kommt Gott sei Dank nur 2-3x jährlich vor.
Einigermaßen auch für eine größere Besuchermenge singbare NGLs wie zB GL 456 haben zum Teil in die Gemeindegesangsbücher Eingang gefunden. Andere NGLs mit komplizierteren Rhythmen und Synkopen werden von einer kleinen Gruppe zB bei Firmungen aufgeführt, die - diese NGLs erst selbst einstudieren musste, - diese NGLs oft aber auch rhythmisch nicht richtig wiedergibt und - die alles andere als gemeindegesangstauglich sind.
Derart aufgeführte NGLs sind letztlich nichts anderes ein "NGL-Hochamt", wo man von pastoraler Seite hofft, dass sie Jugendliche und andere ansprechen würden. Böse Zungen würden behaupten, NGL steht für "Neuen Geistlichen Lärm" - Scherz.
Im Übrigen habe ich GL 456 in italienischer Version auch im Urlaub während eines Gottesdienstes - gesungen von italienischen Benediktinerinnen - gehört. Dieses NGL dürfte internationaleren Charakter haben.