Ich beobachte die Orgelforenszene nun schon über 20 Jahre lang und wenn ich meinen Eindruck ganz knapp zusammenfassen sollte, würde ich sagen: seit etwa 15 Jahren geht es mit den Orgelforen bergab, und dies nicht nur im deutschsprachigen Raum, sondern international. Viele Foren sind in dieser Zeit verschwunden oder haben stark an Vitalität eingebüßt: lebhafte Diskussionen gibt es kaum noch, Ausnahmen davon gibt es am ehesten in Foren, die nicht öffentlich einsehbar sind, sondern nur nach Registrierung. Doch auch in solchen Foren überwiegen bei weitem die Nur-Leser, die sich niemals zu irgend etwas äußern und auch niemals eine Frage zu irgend einem Problem oder Thema stellen, sondern einfach nur mithören wollen, was der "Stammtisch" so redet. Dieser "Stammtisch" besteht in der Regel aus einer Handvoll von Leuten, denen es offenbar Spaß macht, ihre Meinung öffentlich zu äußern.

Vergleiche ich das mit meinen Eindrücken von vor 20 Jahren, scheint sich mir im Kern eigentlich nur eines geändert zu haben: Das Zahlenverhältnis zwischen den Nur-Lesern und den Stammtischrednern; es hat sich in all den Jahren gewaltig verschoben zugunsten der Nur-Leser.

Wilhelm Busch hat in "Max und Moritz" eine wunderbare literarische Skizze dieser beiden Typen geschaffen: In der Schlussbetrachtung dichtete er:

Als man dies im Dorf erfuhr,
war von Trauer keine Spur.
Witwe Bolte, mild und weich,
Sprach: "Sieh da, ich dacht es gleich!"
"Ja, ja, ja!" rief Meister Böck,
"Bosheit ist keine Lebenszweck!"
Drauf, so sprach Herr Lehrer Lämpel:
"Dies ist wieder ein Exempel!"
"Freilich!" meint der Zuckerbäcker,
"Warum ist der Mensch so lecker?!"
Selbst der gute Onkel Fritze
sprach: "Das kommt von dumme Witze!"
Doch der brave Bauersmann
Dachte: "Wat geiht meck dat an?!"

Da haben wir sie: die Stammtischredner - und den Nur-Hörer, der sich nur sein Teil denkt, aber nichts sagt. Nur das Zahlenverhältnis war damals noch ein ganz anderes: 5:1 zugunsten der Stammtischredner; heute ist es wohl 1:10 zugunsten der Nur-Hörer/Leser.

Die Frage, die sich daraus ergibt, ist: Wieso verhalten sich heute so viele Leute wie der "brave Bauersmann" Mecke?? Es ist ja nicht so, dass Mecke das wirklich nichts anginge: er hat maßgeblich die Ermordung von Max und Moritz in die Wege geleitet, und ebenso ist es bei den meisten Nur-Lesern in den Orgelforen: natürlich geht das in Orgelforen zur Sprache kommende sie etwas an - genau deswegen lesen sie es ja! Aber selber dazu etwas äußern - auf gar keinen Fall, genau wie Bauer Mecke. In Schwaben nimmt man die Existenz verschiedener Menschentypen hin mit den Worten: " 's geiht halt sottiche ond sottiche!" Das eigentlich Erstaunliche ist also nicht die Existenz verschiedener Menschentypen, sondern die Verschiebung im Zahlenverhältnis zwischen diesen Typen in den letzten Jahrzehnten; was hat zur extremen Vermehrung der "Meckes", der Nur-Leser, geführt??

Zitat von Bartpfeife im Beitrag #1

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Wilhelm Busch hat in "Max und Moritz" eine wunderbare literarische Skizze dieser beiden Typen geschaffen: In der Schlussbetrachtung dichtete er:

Doch der brave Bauersmann
Dachte: "Wat geiht meck dat an?!"

Da haben wir sie: die Stammtischredner - und den Nur-Hörer, der sich nur sein Teil denkt, aber nichts sagt. Nur das Zahlenverhältnis war damals noch ein ganz anderes: 5:1 zugunsten der Stammtischredner; heute ist es wohl 1:10 zugunsten der Nur-Hörer/Leser.

Die Frage, die sich daraus ergibt, ist: Wieso verhalten sich heute so viele Leute wie der "brave Bauersmann" Mecke?? Es ist ja nicht so, dass Mecke das wirklich nichts anginge: er hat maßgeblich die Ermordung von Max und Moritz in die Wege geleitet, und ebenso ist es bei den meisten Nur-Lesern in den Orgelforen: natürlich geht das in Orgelforen zur Sprache kommende sie etwas an - genau deswegen lesen sie es ja! Aber selber dazu etwas äußern - auf gar keinen Fall, genau wie Bauer Mecke. In Schwaben nimmt man die Existenz verschiedener Menschentypen hin mit den Worten: " 's geiht halt sottiche ond sottiche!" Das eigentlich Erstaunliche ist also nicht die Existenz verschiedener Menschentypen, sondern die Verschiebung im Zahlenverhältnis zwischen diesen Typen in den letzten Jahrzehnten; was hat zur extremen Vermehrung der "Meckes", der Nur-Leser, geführt??

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Ich glaube, es greift zu kurz, wenn man auf enttäuschende Erfahrungen in irgendeinem Forum hinweist: mit den Orgelforen geht es weltweit seit schätzungsweise 15 Jahren bergab, es muss also weltweit wirksame Gründe dafür geben.

Ich kann mich erinnern an die Zeit Anfang der Nullerjahre, als Orgelforen noch neu waren: da war die Begeisterung bei vielen Interessenten groß. Jeder, wirklich absolut jeder konnte seine Meinung oder seine Fragen in den damaligen Foren posten, meistens ohne sich vorher registrieren zu müssen und unter Angabe eines x-beliebigen Namens (der natürlich auch nicht registriert und geschützt war!) Das führte bald in manchen Foren zu Anarchie: manche posteten unter den Namen anderer Diskussionsteilnehmer, manche posteten unter 3, 4 oder 5 verschiedenen Namen und diskutierten so mit sich selbst, es gab viele Trolle, die irgend einen Quatsch von sich gaben, um die Community zu ärgern und zu erregen, oder um für irgend etwas Werbung zu machen. Um diesen "Wilden Westen" zu beenden, wurden in allen Orgelforen Posts nur noch nach Registrierung ermöglicht. Daraufhin haben manchmal einzelne findige Hacker die Registrierung von anderen Forumsteilnehmern geknackt (deren Passwort war wohl leicht zu erraten) und unter deren Namen gepostet ... Und natürlich gab es auch nach der Einführung der Registrierungspflicht heftige Entgleisungen im Ton bis hin zu Beschimpfungen, die dann von Administratoren gelöscht werden mussten. Solche Vorkommnisse haben natürlich viele frühere Interessenten abgestoßen.

Aber der eigentliche Grund für den Rückzug vieler früherer Interessenten in das "Bauer-Mecke-Dasein" scheint mir etwas anderes gewesen zu sein, nämlich die Beobachtung, dass all die z.T. heftigen und tagelangen Diskussionen, die es damals in den Foren gab, schlicht zu absolut nichts geführt haben, es war kein Lerneffekt bei dem einen oder anderen Diskussionsteilnehmer zu beobachten: eine Woche oder einen Monat später wurde all das, was andere mühsam widerlegt zu haben glaubten, vollkommen unverändert wiederholt. Die Orgelforen wurden offenbar von allzu vielen Teilnehmern nicht als Lernort begriffen, sondern als Ort, an dem man seine heilige und unveränderbare Meinung anderen vor den Kopf knallen kann.

In der Folge begann der Abstieg der Orgelforen: nach dem Rückzug vieler Nutzer blieb in der Regel ein kleiner Kern von Gleichgesinnten, die kaum noch diskutierten, weil sie eh' einer Meinung waren. Man tauscht seither in vielen Foren nur noch Insider-Informationen aus.

Mein leiser Verdacht ist, dass darüber hinaus Erfahrungen mit "Social Media" wie z.B. Facebook vielen heutigen Nutzern in den Knochen stecken und davon abhalten, öffentlich ihre Meinung zu äußern. Aber da kenne ich mich überhaupt nicht aus, ich habe Facebook nie genutzt.

Ja vieles wurde schon gesagt. Natürlich ändern sich in 25 Jahren viele Dinge, allgemein und speziell. Zu Beginn des neuen Jahrtausends steckte beim Internet noch vieles in den Kinderschuhen, Youtube gab es noch gar nicht, die Hardware war bescheiden, mobil ging auch noch (fast) nichts. Es waren relativ unbekümmerte und leicht chaotische Zeiten. Trolle waren ein frühes Phänomen, das man elastisch behandelte, bei einem größeren Verlag gab es zur Auslagerung von fragwürdigen Beiträgen extra den Brereich einer "Trollwiese", auch ein inoffizielles Trollvoting mit Rangliste.

Aber schnell ging auch die Unschuld des Internets verloren, als sich immer mehr Geschäftemacher, Kriminelle, Politische Akteure, Influzenzer und Zensoren breit machten. Normaler Gang der Dinge? Teilweise mit Sicherheit. Aber spätesten seit dem gesteigerten Irrsinn in der Welt seit 2020 wurde es noch viel schlimmer.

Aber zurück zur Orgelmusik. Allein im deutschsprachigen Raum gab es in den 200X Jahren eine Reihe von frühen Foren (braun, gelb, blau, weiss ...), die alle eine unterschiedlliche Entwicklung nahmen. Auch war die Zahl der Sakralorgel-Firmen noch größer.

Heute sieht die Welt etwas anders aus. Alte Foren verschwanden, neue erschienen. Foren verschwanden meist - meiner Meinung nach - durch falsche Moderation. Firma verschwanden mangels Masse und Innovationskraft.

Eine Frage ist, warum in Foren wenig los ist? War es früher wirklich so viel mehr? Auch da gab es nur einige Aktivisten und viele Mitleser.

Wenn es heute relativ ruhig ist, kann das auch daran liegen, dass etliche Themen verbraucht sind. BWV 565 dürfte z.B. ziemlich ausdiskutiert sein, technisch tut sich seit Jahren grundlegend fast nichts mehr, Klangbeispiele werden irgendwann aufgrund der Anzahl beliebig usw. Neue und Randthemen veröden sehr schnell, ich sagte schon an anderer Stelle, dass ich mit ChatGPT besser und ergieber diskutieren konnte (je nach Thema sehr gut oder auch voll daneben), als im Forum. Schlechtes Zeichen. Es ist aber wie es ist.

Ja, das deckt sich mit meinen sporadischen Erfahrungen mit ChatGPT - ein ausgesprochen angenehmer Diskussionspartner, immer sehr höflich und respektvoll, sehr kenntnisreich, aber bei weitem nicht fehlerlos - Stichwort Halluzinationen - doch jederzeit bereit, Fehler zuzugeben, zu korrigieren und sich für Fehler sogar zu entschuldigen. Das ist sehr anders als bei den meisten menschlichen Diskussionspartner in Orgelforen! Der Vergleich mit ChatGPT macht mir erst richtig bewußt, woran die Orgelforen im Kern gescheitert sind und immer noch scheitern: Zu viele Teilnehmer von Orgelforen haben als Musiker offenbar nie gelernt, eine sachorientierte Diskussion zu führen; wo und wie hätten sie es auch lernen können! Das ganze Musikerdasein klammert ja Sachdiskussionen systematisch aus: Der Instrumentallehrer, der Musikhochschullehrer, der Dirigent, sie alle sagen ohne jede Diskussion, was zu tun und zu lassen ist.

Zitat von Bartpfeife im Beitrag #7

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...Zu viele Teilnehmer von Orgelforen haben als Musiker offenbar nie gelernt, eine sachorientierte Diskussion zu führen; wo und wie hätten sie es auch lernen können! Das ganze Musikerdasein klammert ja Sachdiskussionen systematisch aus: Der Instrumentallehrer, der Musikhochschullehrer, der Dirigent, sie alle sagen ohne jede Diskussion, was zu tun und zu lassen ist.

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Dem Beitrag von #Ebi kann ich nur aus vollem Herzen beipflichten!!!

Ich teile die Ansichten von Ebi. Als "Newcomer" bin ich noch nicht lang hier aktiv - stelle aber fest, dass die Themen grundsätzlich höflich, respektvoll und sachlich diskutiert werden - ein Kompliment an die regelmässigen Schreiberinnen und Schreiber.

So wie ich in den Wald hinein rufe, tönt es halt zurück...

Als langjähriger Organist schätze ich die schreibenden Austauschmöglichkeiten via Fach-Foren. Da muss sich jeder doch vorgängig zuerst überlegen, was oder wie er oder sie schreiben will - ein grosser Vorteil gegenüber den heutigen sozialen Medien, wo der "gesunde Menschenverstand" zunehmend unter Druck gerät, indem spontan oftmals gedankenlos etwas veröffentlicht wird und erst nachher überlegt wird - siehe Zunahme von "Fake-News".

Zudem freue ich mich immer wieder über "literarische Ausdrucksweise" durch die die Qualität unserer Sprache hochgehalten wird.

Natürlich gibt es immer wieder einzelne Versuche, solche Foren für eigene, unlautere Zwecke zu missbrauchen. Solche Ansinnen kristallisieren sich in der Regel schnell heraus. Der Forenmaster kann dann eingreifen.

Ich stelle fest, dass sich in der letzten Zeit einige neu angemeldet haben - das Interesse scheint also vorhanden. Wenn das so weitergeht, werden sich die Worte von Bauer Mecke nicht erfüllen - also weiter so.

LG
Martin