Ich habe die beiden "großen" Bach-Editionen zuhause, Bärenreiter in den späten 80er- und frühen 90er-Jahren neu gekauft und die Peters-Edition von verschiedensten Anbietern - teilweise sehr antiquarisch - vor ca. 20 Jahren bei Ebay zusammengekauft. "Urtext" sind sie ja angeblich beide, wenn man der Beschriftung Glauben schenken kann, trotzdem stößt man beim Vergleich immer wieder auf unübersehbare Unterschiede. Bei kaum einem Stück sind die Unterschiede so groß wie bei der Fantasie in c-Moll BWV 562:
Bei Bärenreiter finden sich unzählige Vorhaltsnoten (jedesmal in Klammern notiert), die aber kaum jemand wirklich spielt und ein paar Triller, die bei Peters fehlen. Das Stück ist bei Bärenreiter auf 3 Seiten notiert, Gott sei Dank ist die Umblätter-Stelle so platziert, dass man die linke Hand zum Umblättern frei hat.
Bei Peters finden sich deutlich weniger Vorhaltsnoten, wenn man sich bei YT einige Interpretationen anhört, scheinen so gut wie alle das Stück nach Peters zu spielen. Dass das Stück bei Peters auf nur 2 Seiten gedrängt ist, erspart zwar das Umblättern, dafür ist es deutlich unübersichtlicher, teilweise an der Grenze der guten Lesbarkeit.
Was sagen die Experten unter euch ? Nach welcher Edition sollte man das Stück besser spielen, wenn´s möglichst authentisch sein soll ?
Das komprimierte Notenbild ist der Grund meiner Vorliebe für Peters. Allerdings wurde ich von meinen Orgellehrern "gewarnt", dass diese Ausgabe fehlerhaft bzw. nicht auf dem neuesten Stand sei, ich vergleiche deshalb nach Möglichkeit mit Bärenreiter Urtext.
(Ich schreibe das ganz allgemein zur Ausgabe, die Fantasie habe ich noch nicht gespielt. Und Expertin bin ich auch keine...)
Ich muss wohl auch den kritischen Bericht konsultieren (habe selbst Breitkopf, Peters hat ja keinen).
Schon mal grundsätzlich: Es gibt ein Leipziger Autograph des Stückes mit einer unvollendeten Fuge (oder der Schluss ist verloren gegangen). Außerdem gibt es Abschriften einer früheren Fassung. Dort ist die Fuge BWV 546/2 angefügt, die später ein neues Präludium bekommen hat. Vermutung: Die nicht geklammerten Verzierungen sind aus Bachs eigener Handschrift, die geklammerten aus anderen. Möglich, dass Bach seinen Schülern im Unterricht zeigen wollte, wie man verziert. Eine solche Fassung wäre durchaus spielbar. Nicht grandios fände ich, wenn man alle Verzierungen aus den vorhandenen Handschrift additiv zusammengefasst hätte.
Muss gleich weg, weil ich einen Termin habe und da fehlt jetzt die Zeit, mal selbst hineinzusehen, aber hier gibt es die Quellen: https://www.bach-digital.de/receive/Bach...k_work_00000642 Man tut sicher keinen Fehlgriff, wenn man nach Bachs Autograph spielt.
Zitat von Axel im Beitrag #3Man tut sicher keinen Fehlgriff, wenn man nach Bachs Autograph spielt.
Vielen Dank für den Link ! 👍 Wenn ich mir den Autographen so anschaue, drängt sich mir der Gedanke auf, Bach hätte besser Arzt werden sollen, wenn´s nach dem Schriftbild und der Leserlichkeit geht. Spaß beiseite, aber danach könnte ich nie vom Blatt spielen. Ich glaube aber gerade noch erkennen zu können, dass es hier deutlich weniger Verzierungen gibt als bei Bärenreiter, alles in allem kann man sagen, dass Peters mehr dem Autographen entspricht, ich werde es wohl nach Peters spielen, denn die wirklich unzähligen Vorhaltsnoten in der Bärenreiter-Edition sind auch mir schon zu viel des Guten und wenn man sich so umhört, spielt sie auch so gut wie niemand so.
Solche Fälle, in denen ein Stück nachträglich von Bach selbst (vielleicht aus didaktischen Gründen?) fast bis zur musikalischen Unsinnigkeit verziert wurde, gibt es noch öfter, z.B. ist bei den dreistimmigen "Sinfonien" für Klavierinstrument die Sinfonia 5 Es-Dur (BWV 791) nachträglich mit unzähligen Verzierungen versehen worden im Autograph von 1723. Man kann sich davon anregen lassen und eine gewisse Auswahl aufgreifen, soweit man es als musikalisch sinnvoll empfindet und spielen kann. Ähnlich würde ich es bei BWV 762 halten, wobei die Peters-Fassung schon so viele Verzierungen enthält, dass man es dabei auch belassen kann.