Ich empfehle mit Nachdruck das gründliche Studium folgender Literatur:
Hermann J. Busch, Zur Interpretation der französichen Orgelmusik, Merseburger Verlag 2009
Jon Laukvik, Orgelschule zur historischen Aufführungspraxis (zu diesem Thema speziell Teil 1), Carus-Verlag 60.002
In diesen Schriften ist alles wesentliche zu diesem Thema fachkundig erläutert.

Ganz klar: Diese Bach Biografie aus DDR Zeiten ist natürlich keine Referenz. Im Gegenteil, denn die Beschäftigung mit historischer Aufführungspraxis galt als Zeichen westlich-kapitalistischer Dekadenz.

Es ist recht unstrittig, dass französische Musik dieser Zeit mit inegalen Noten rechnet. In welchem Maße und an welchen Stellen kann man diskutieren, aber die Barockzeit kennt einen Begriff wie "Notentreue" nicht.

Couperin schreibt hier etwas auf S. 17 unten dazu: https://vmirror.imslp.org/files/imglnks/...Harpsichord.pdf

Insbesondere aus französischer Perspektive wäre noch - nicht orgelspezifisch - das hier lesenswert, leider nicht ganz billig: https://www.stretta-music.de/veilhan-die...-nr-101153.html

Inegales Spiel finden wir aber z.B. auch in Spanien bei T. de Santa Maria. Da z.B. auch als ayrecillo in 3er-Gruppen. Das dürfte zu dieser Zeit recht verbreitet gewesen sein. Mein Cembaloprof. bestand auch bei Buxtehude auf inégalité.

Nachtrag: Das gilt natürlich auch, wenn man nicht auf der Orgel spielt:
https://www.youtube.com/watch?v=GUdNhJwLYDw

Bei der Blockflöte ist es übrigens nicht eigentlich eine Sache des Rhythmus, sondern der Artikulation. Also, richtig punktieren wäre fast schon wieder falsch, die Ungleichheit wird durch Artikulation erzeugt. Aber das ist in dem Maße auf der Orgel nur schwer realisierbar, die Tasten hören nicht auf unterschiedliche Artikulationssilben. ;)
Danke für die orgelbezogenen Literaturtipps!

PS: ich habe es so gelernt, dass das immer nur Achtelketten betrifft, Sprünge werden nicht inegal gespielt.

Völlig d'accord: Das kann von einer leichten Betonung bis zur Doppelpunktierung alle möglichen Grade annehmen. Wichtig finde ich, dass es nicht schematisch wird. Mir hat als Schüler mal mein alter Orgellehrer gesagt: "Naja, jetzt spielst du wie ein Deutscher, dem man inegale Noten erklärt hat." Also immer mit einer gewissen mediterranen Schlampigkeit.

Meistens trifft es die Achtel, im 3/2 z.B. können es auch die Viertel (ich spiele bei Couperin die erste Gloria Versette aus der paroisses so) sein, aber immer nur ein Notenwert in demselben Stück. Das steht bei Veilhan sehr differenziert.

Ich muss los, schreibe gerne später noch etwas detaillierter.

Also, wie schon genannt wurde, Dreiklangsbrechungen eher egal. Das trifft oft bei Basse-de-chromorne-Stücken, wo eine Viola da Gamba imitiert wird, wie beispielsweise bei Clérambault in der 2. Suite. Da gibt es wenig Gelegenheit zum inegalen Spiel.

Ein weiterer fraglicher Punkt sind die Basse de trompette. Mein Orgelprof. sagte mal, die müssen egal sein. Auf meine Nachfrage hin sagte er, ja, das habe Guy Bovet herausgefunden. Einige Monate später saß ich bei Guy Bovet im Kurs und habe ihn genau das gefragt. Er sagte, ja natürlich egal, aber ich weiß gerade nicht auswendig, wo das steht. Tja, ich spiele da dann doch gerne mal inegal, weil es zum Charakter passt und ich die Stelle eben immer noch nicht gefunden habe, wo die Anweisung "egal" steht.

Schwierig wird es auch, wenn der Komponist Punktierungen und normale Achtel im gleichen Stück schreibt. Das wäre z.B. der Fall in der Kyriefuge der Convents von Couperin, wo die Punktierung nur im Themenkopf auftaucht. Wenn man das so macht, wie Chapuis und relativ scharf inegal spielt, sind die Unterschiede kaum zu erkennen:
https://www.youtube.com/watch?v=vwRD73jjWeA
Da wäre es meine erste Wahl, die normalen Achtel eher triolisch inegal zu nehmen.

Hmmm, also ich bin da nicht sicher. Anhand der Quellenlage würde ich sagen, es gibt keinen Zweifel daran, dass die 8tel hier inégal sind, man kann nur über den Schärfegrad diskutieren.

So hab ich es auch gelernt. 8tel-Ketten inegal, aber nicht zu scharf und nicht zu gleichförmig. Eine Ausnahme würde ich auch bei "Basse de trompette-Stücken" machen. Da wirkt bei einer schmetternden Trompete eine scharfe Inegalität besonders reizvoll.

Ich bin ja kein Experte für historische Aufführungspraxis, aber ich spiele 1/8-Ketten entweder gleichmäßig oder punktiert und wenn letzteres, dann schon alle punktierten Noten auf die gleiche Art. Wenn ich jede punktierte Note anders punktiere, klingt doch das ganze Stück ungenau und unregelmäßig, damit kann ich mich überhaupt nicht anfreunden.
Außerdem: Es ist im Original kein Orgelstück, sondern für Orchester, da stelle ich es mir besonders schwierig vor, jede punktierte Noten anders zu punktieren und dann noch "immer ein bisschen schlampig", dann muss sich jeder einzelne merken, wie der Dirigent jede einzelne punktierte Note mehr oder weniger punktiert haben will, ich glaube, da würde mir als Orchestermusiker die Lust vergehen ...