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Experimentalmusik des Barock: Michelangelo Rossi - Toccata VII (Mitteltönig und gleichstufig im Vergleich)
Vor ein paar Tagen bin ich auf ein Stück gestoßen, das mich fasziniert, wir haben es hier ohne Übertreibung mit einer Art "frühbarocker Experimentalmusik" zu tun: Wenn es nach den Lebensdaten des Komponisten geht, kann eigentlich nur eine Interpretation in mitteltöniger Stimmung als authentisch gelten, denn in der 1. Hälfte des 17. Jahrhunderts konnte man von einer gleichstufigen Stimmung nicht mal träumen. Oder vielleicht doch ?!
Die 1. der beiden Interpretationen - gespielt auf einer der berühmtesten frühbarochen Orgeln Österreichs - erfüllt diese Voraussetzung eindeutig: Michelangelo Rossi (ca. 1601-1656): Toccata VII (Magdalena Hasibeder an der Wöckherl-Orgel der Franziskanerkirche in Wien) Allerdings lässt der Schlussteil des Stückes wahrhaft aufhorchen: Da sind Dissonanzen, richtig grobe "Wolfsquinten" zu hören, die schon fast wehtun und von Komponisten aus dieser Zeit normalerweise strikt vermieden wurden, sodass der letzte Abschnitt des Stückes für einen Komponisten des Frühbarock äußerst "modern" anmutet. Wie kann ein Komponist aus dem frühen 17. Jahrhundert nur auf die Idee kommen, sowas zu komponieren ? War Rossi seiner Zeit so weit voraus ? Vermutlich war er das, denn bei nährerer Betrachtung hatte der Komponist bei diesem Stück das Archicembalo im Auge, ein für die damalige Zeit revolutionäres Instrument mit äußerst ungewohnter Optik, bei dessen Tastaturen eine Oktav nicht - wie gewohnt - 12 Töne hat, sondern sage und schreibe 36(!), also gleich 3mal so viele wie "normal". Dieser Reichtum an Tönen geht weit über die in dieser Zeit gebräuchlichen Subsemitonien hinaus und ermöglicht erstmals in der Musikgeschichte das Spiel in allen Tonarten.
Was sagt ihr dazu und welche Interpretation gefällt euch besser ? Mir fällt hier echt die Wahl schwer, ich finde sie beide genial, jede auf ihre Art und natürlich klingt Maierhofers Einspielung für moderne (an gleichstufige Stimmung gewöhnte Ohren) "gefälliger".
Eines ist sicher: Dieses Stück muss ich einfach spielen, bin echt gespannt was meine Pfarrgemeinde dazu sagt ! Spannend wird dies auch deshalb, weil meine Dienstorgel nicht gleichstufig, sondern in Werckmeister II gestimmt ist.
Beide Aufnahmen sind sehr schön, aber aufregender und herausfordernder ist natürlich die Aufnahme aus der Franziskanerkirche. Da wird man am Schluß chromatisch so herrlich durchgerüttelt, dass der Schlussakkord wie eine Erlösung daher kommt. Ich denke, dass das auch die Intention des Komponisten gewesen sein könnte.
Ein grandioses Stück, ohne jeden Zweifel. Ich spiele das seit fast 30 Jahren mit unverminderter Begeisterung. Für mich steht völlig außer Frage, dass das mitteltönig gedacht ist. Er notiert ja eindeutig und konsequent so, obwohl es sich von der harmonischen Logik teilweise anders angeboten hätte, wenn man da im letzten Abschnitt denn noch analytisch hinterher kommt. Im Gegensatz zu den ausgezeichnet spielenden Kollegen nehme ich den Teil nicht im Plenum, sondern im Stil einer Elevation mit Principale 8'. Das mildert es dann etwas.