Ich kannte zugegebenermaßen weder den Komponisten noch das Stück, wieder was gelernt ! Nachdem YT-Autoplay das Video "für mich ausgesucht" hatte, tippte ich schon nach den ersten Takten sofort auf "unverkennbar" französische Romantik. Der Komponist war Amerikaner französischer Abstammung und die sowohl stilistisch als auch strukturell unüberhörbar-frappante Ähnlichkeit zu Théodore Dubois´ bekannter Toccata in G-Dur legt nahe, dass der 45 Jahre jüngere Becker bei diesem Stück stark von Dubois´s berühmter Toccata inspiriert wurde.
Auch hier wird ein meditativ-ruhiger Mittelteil von virtuosem Laufwerk mit Reprise umrahmt und - wie in Dubois´ Toccata - von Laufwerk unterbrochen. Das brillante Stück dürfte auch vom Schwierigkeitsgrad her mit Dubois´ Toccata vergleichbar sein und kommt ebenfalls großteils ohne schwierige Pedalstellen aus, wenn man von einem einzigen Takt mit einem gewöhnungsbedürftigem 1/16-Lauf im Pedal absieht, der sich am Schluss wiederholt und somit die wahrscheinlich schwierigste Stelle des ganzen Stückes darstellt.
Irgendwie ist er natürlich der Zeit etwas hinterher. Der Eindruck aus den Stücken, die ich kenne, ist zwiespältig: Ich habe noch eine g-moll Sonate im Schrank, nun ja, der erste Satz erinnert sehr an Guilmant's 3., ein langsamer Satz sehr an Widor und das Finale ist Dubois-Toccata in moll. Etwas zuviele Anleihen vielleicht, man fragt sich, wo ist da wirklich Becker? Ein ähnliches Problem hat ja manchmal Krebs: f-moll ist quasi BWV 544, a-moll die Mollversion von BWV 540. Ich gebe zu, dass ich in den ganzen Jahren nicht einmal im Konzert gehört habe, dass jemand das spielt.
Von R. L. Becker gibt es noch eine Toccata in e-moll, die mir kompositorisch bedeutsamer erscheint als die in D-Dur. Zwei Einspielungen aus Youtube: Michael Kearney und Gert van Hoef.
Aufmerksam machen darf ich in diesem Zusammenhang auf die amerikanische Organistin Damin Spritzer, die ihre Dissertation über R. L. Becker geschrieben hat: Becker - Spritzer.
Zitat von Axel im Beitrag #2Etwas zuviele Anleihen vielleicht, man fragt sich, wo ist da wirklich Becker? Ein ähnliches Problem hat ja manchmal Krebs: f-moll ist quasi BWV 544, a-moll die Mollversion von BWV 540. Ich gebe zu, dass ich in den ganzen Jahren nicht einmal im Konzert gehört habe, dass jemand das spielt.
Ich sehe Stilkopien weniger kritisch und finde es immer noch schön und beachtlich, wenn jemand so komponieren kann wie Bach oder Dubois. Du sagst, das lernt man auf der Musikhochschule. Okay, mag sein, theorethisch vielleicht, aber wie viele können schon so etwas wie Krebs´ Toccata und Fuge in a-Moll in genau dieser Perfektion komponieren ?
Sogar ein Genie wie Händel ist bei manchen Stücken weit über die Stilkopie hinausgegangen und hat teilweise echte Plagiate geschrieben, mit denen man sich heutzutage eine Urheberrechtsklage einhandeln würde, aber in der Barockzeit hat man sowas nicht so eng gesehen, siehe hier: Händel klaute bei Telemann