Ralph Looijs neuestes Video, in dem er Buxtehudes bekannte F-Dur-Toccata spielt, macht mich etwas stutzig:
Ich kenne das Stück schon seit vielen Jahren und habe es seinerzeit mit meinem letzten Orgellehrer Wolfgang Reisinger nach der Wilhelm Hansen Edition einstudiert und da war es eine Selbstverständlichkeit, dass das Laufwerk in Takt 1/32 und nicht 1/16-Noten sind und auch tempomäßig deutlich von den 1/16-Noten abzusetzen sind, wenngleich die Stelle dadurch etwas schwieriger wird. Auch Bärenreiter setzt hier 1/32-Noten und ich kenne das Stück gar nicht anders. Looij spielt das Stück nach einer Gratis-Edition von Pierre Gouin. So sehr ich IMSLP und Gouin für seine größtenteils wertvolle Arbeit als Notensetzer schätze, aber diese Änderung geht mir etwas zu weit. Oder kennt ihr noch andere Editionen, die an dieser Stelle 1/16 anstatt 1/32-Noten schreiben ?
Ich sehe gerade, in der ebenfalls auf IMSLP verfügbaren Breitkopf-Edition ist die Stelle auch mit 1/16-Noten notiert, das überrascht mich jetzt wirklich. 😲
Ja wer hat recht? Da hilft nur Quellenstudium, was aber oft genug keine eindeutigen Ergebnisse liefert, besonders wenn keine Autographen oder vom Komponisten veranlassten Drucke verfügbar sind. Ich selbst habe mich noch nicht mit Buxtehude beschäftigt.
Ein nicht ganz unproblematisches Stück. Offenbar in einer einst in Berlin aufbewahrten mitteldeutschen Abschrift überliefert. Da ist dann ja schon mindestens ein Kopist gewesen, der aus der Tabulatur übertragen hat. Die Berliner Quelle gibt es aber nicht mehr, so dass man nur frühe Druckausgaben aus dem 19. Jh. zur Verfügung hat.
Bei der fraglichen Stelle ist die Antwort einfach: Die Version mit den 16-teln ist von Beckmann, der hier an T. 13-14 angleicht.
Ich versuche mal eine etwas umfangreichere Antwort:
Bei B. haben wir kein Autograf. Nur Abschriften in Tabulatur und Notenschrift. Beide Notationen haben unterschiedliche Fehleranfälligkeiten.
Bei Noten hat man sich schnell mal um eine Terz verschrieben. Bei Tabulaturen könnte man je nach Schrift c und e verwechseln. Bei der Übertragung gibt es andere Fehlerquellen, z.B. wird der Oktavstrich der Tabulatur (im Sprachgebrauch ja immer noch als eingestrichene Oktave usw. vorhanden) falsch gelesen (Ende eine Note zu früh oder zu spät). Mancher Kopist war auch mit der Tabulatur nicht so fit. Das alles verursacht Fehler, mehr oder weniger offensichtlich.
Jetzt gibt es zwei Arten von Textkritik: innere und äußere. Die äußere ist die andere Version einer anderen Quelle. Da muss man dann entscheiden, was zuverlässiger und sinnvoller ist. Die innere beruft sich auf Parallelstellen, Konstruktionen im doppelten Kontrapunkt, innere Logik des Werkes.
Ein wichtiger Herausgeber ist Klaus Beckmann. Er argumentiert mit "Homer aus Homer, die Schrift aus der Schrift und B. aus B." Das steht irgendwo wörtlich so. Seine innere Textkritik hat viele Werke von B. in eine spielbare Variante gebracht, z.B. d-moll Toccata. Allerdings setzt das Verfahren voraus, dass der Komponist streng logisch und schematisch arbeitet. Wenn nicht, dann glättet man so die "Ausnahmen", also die besonders kreativen Stellen.
Hier ist zwar die parallele Konstruktion der jeweils 4 Takte schon logisch, aber ich halte es auch für möglich, dass die 32-tel nochmals als Steigerung gedacht waren. Die Entscheidung nimmt einem keiner ab.