Hallo

Heute habe ich einen interessanten Artikel von Prof. Dr. Roland Eberlein gelesen, den ich gerne zum Lesen empfehle und verlinke.
Wie sind eure diesbezüglichen Erfahrungen? Ist das alles realistisch oder zu schwarz gemalt?

Ein schwieriges Thema.

Um Deine Frage kurz zu beantworten, über weite Teile halte ich den Aufsatz für Schwarzmalerei.

Allerdings werden hier so mit die meisten aktuellen Probleme von Kirche und Kirchenmusik unter die Überschrift "Folgen von Corona" gepackt und das ist m. E. ein wenig kurzsichtig.

Kirchen und damit auch die Kirchenmusik kranken schon länger an schrumpfenden Teilnehmerzahlen, sei es aktiv oder auch passiv. Corona hat hier den berühmten Tropfen geliefert und die heimischen Wohlfühlzonen aufgezeigt, in die sich nun noch mehr zurückziehen. Die Attraktivität der Angebote war aber schon vor Corona in vielen Gemeinden eher dürftig und auf ein, gerade bei der Kirchenmusik, elitäres Besucherfeld abgestimmt.

Aber jetzt banal zu behaupten, dass es nur noch mit modernem Programm gelingt Zuhörer zu begeistern und denjenigen, die alte "Klassiker" spielen und aufführen durch die Blume die Mitschuld am Untergang der Kirchenmusik zu geben?
Weiß ich nicht, aber das scheint mir ein wenig zu einfach gedacht. Im Übrigen gehöre ich selbst dann auch zu diesem Personenkreis. In jüngeren Jahren war mir selbst romantische Orgelmusik zu "modern", mittlerweile habe ich aber diese Musik zu schätzen gelernt. Der vor einigen Tagen in einem anderen Thread behandelten Musik von Naji Hakim hingegen kann ich nicht länger als 10 Sekunden zuhören. Und das gehört ja nun dann zu der geforderten Modernisierung der Kirchenmusik.

Das aber in der jetzigen Zeit ein Umdenken bei der Schaffung und Besetzung von haupt- oder nebenamtlichen Stellen stattfinden muss kann doch nur eine logische Konsequenz aus allem sein. Wo nicht mehr genügend Schäflein ihren Obolus entrichten wird halt gespart, warum sollte die Kirchenmusik hier eine Ausnahme sein?

Ich werde immer wieder zurück zum Forum geleitet. In welchem Medium / auf welcher Homepage ist er zu lesen?

http://www.walcker-stiftung.de/Blog.html#kap82

....oder hier kommst du direkt zu dem Artikel:

http://www.walcker-stiftung.de/Downloads...er_Pandemie.pdf

Beim Link von "die größte Pfeife" komm ich weiter, danke!
(Ebi, deine Links führen seltsamerweise zurück zu diesem Faden.)

PS: ich hab jetzt erst begriffen, dass es ein Dokument zum Downloaden ist. Ich dachte, es ist ein Link zu einer Homepage. Das direkte Runterladen in den Beiträgen von ebi hat nicht funktioniert, der Weg zur Homepage über den Link von der größten Pfeife schon, dort konnte ich es dann runterladen.
Wäre vielleicht hilfreich zu erwähnen, wenn die Verlinkung zu einem Dokument führt anstatt zu einem Text, der online lesbar ist.

Hallo

Wenn ich auf den angegebenen Link klicke, habe ich sofort das Dokument zum Lesen parat.
Wahrscheinlich habe ich bei meinem Mac-Browser die Einstellungen so gewählt, dass PDF-files direkt zum Lesen geöffnet werden.
Somit werde ich in Zukunft dann erwähnen, wenn der Link auf eine solche Datei führt.

Und: wie siehst du die Aussagen von Herrn Eberlein?
Kannst du dem zustimmen oder ist das zu pessimistisch gesehen?

Vielleicht darf ich auf die Frage von Ebi antworten.
Ich teile weitgehend die Diagnose von Eberlein. Dieser hat mehr den Blick auf städtisch geprägte Milieus gerichtet, wogegen ich meine Erfahrungen als Organist in verschiedenen Landgemeinden Südwestdeutschlands sammle. Und da sieht es nicht rosig aus für die Zukunft des Kirchengesangs im allgemeinen und der Orgelmusik im besonderen.

Da erlebe ich einen massiven Rückgang des Kirchenbesuchs. Meine Stammkirche hat etwa knapp 100 Sitzplätze. Davon waren durch die Abstandsregelungen anfangs nur ca 24 Plätze, später dann etwa 30 Plätze verfügbar, für die man sich anmelden musste. Dazu kam dann das monatelange Singeverbot; die Einstellung der Probenarbeit des Singkreises; zuvor schon das Aus für den Kirchenchor wegen Nachwuchsmangels. Danach kam dann die Absenkung der Heizung - zuerst mit der während des Winters gegebenen Unmöglichkeit des Lüftens, dann später mit der Energiekrise begründet. Ich habe in der ganzen Zeit der Pandemie dort keinen einzigen Sonntagsgottesdienst erlebt, bei dem die wenigen verfügbaren Plätze belegt waren! Es ist doch viel bequemer, zuhause den Fernsehgottesdienst im Sessel zu verfolgen und einen meistens gut musikalisch gestalteten Gottesdienst zu erleben als den Weg zur Kirche anzutreten!

Eberlein verkürzt allerdings die Problemlage auf die Pandemie als Ursache allen Übels. Bereits lange zuvor sind Fehlentwicklungen eingetreten, die zur gegenwärtigen Misere beigetragen haben. Ich nenne nur: den Ausfall einer Singepraxis mit Kindern und Jugendlichen. In welchen Familien wird heutzutage noch regelmäßig gesungen? Wie steht es mit dem Singen in der Schule? Wo lernen heutzutage noch Kinder geistliches Liedgut kennen? Nicht im Religionsunterricht, nicht in der Gemeindekatechese.
Neulich hatte ich einen Disput mit unserem Pastoralreferenten über die Gestaltung des Dreikönigstages, an dem auch die Aussendung der Sternsinger stattfindet. Sein Entwurf berücksichtigte nur das letztere, der Hauptgedanke des Festes fiel in der Liedauswahl völlig unter den Tisch. Seine Antwort zu meinem Vorschlag, die beiden GL-Lieder "Hört, es singt und singt mit Schalle" und "In dulci jubilo" vorzusehen, war: "Die Texte und die damit verbundene Spiritualität sind für wenig geübte Kirchgänger fremd geworden und schlicht nicht mehr zu vermitteln. Dies gilt für die vorgeschlagenen Lieder GL Nr. 240 und 253". Wenn das so ist, dann liegt das daran, dass das pastorale und katechetische Personal der kath. Kirche in dieser Hinsicht völlig versagt. Wir werden daher - so befürchte ich- innerhalb einer Generation einen Traditionsabbruch in der Pflege religiösen Liedguts erleben, wie er sich zuvor in 500 Jahren Kirchenliedgeschichte nicht ereignet hat. Verantwortlich dafür sind auch die Kirchenoberen, die mehr im Sacro-POP das Heil vermuten als im tradierten Liedgut.
Ja, und dann die massive Vertrauenskrise in kirchliche Autoritäten, die der Missbrauchs-Skandal ausgelöst hat.
Damit will ich sagen: All dies wirkt zusammen und bewirkt der Verfall des gottesdienstlichen Lebens.
Und bei Eberlein lese ich nichts Zielführendes dazu, wie eine Gegenstrategie aussehen könnte.

Ich bin einfach nur traurig und musste mir das mal von der Leber schreiben, wie man so sagt.
Beste Grüße,
Harmonist

Wir werden daher - so befürchte ich- innerhalb einer Generation einen Traditionsabbruch in der Pflege religiösen Liedguts erleben, wie er sich zuvor in 500 Jahren Kirchenliedgeschichte nicht ereignet hat. Verantwortlich dafür sind auch die Kirchenoberen, die mehr im Sacro-POP das Heil vermuten als im tradierten Liedgut.

Hallo

Mein Eindruck ist, dass dieser Prozess schon viel länger im Gang ist. Wir haben zum Beispiel in der Grundschule - das war in den 60er-Jahren - jeden Tag je einen Choral zu Beginn und zum Ende des Schulunterrichts gesungen, manchmal auch zwischendurch. Ich kann sie noch heute auswendig - und ich fand das ein sehr schönes Ritual. Meine jüngeren Geschwister waren einige Jahre später auf der gleichen Schule und kannten diese Tradition schon nicht mehr...

...später auf dem Gymnasium hatten wir dann zwar Musikunterricht - bis zur Mittelstufe sogar obligatorisch - in dem auch sporadisch gesungen wurde; der Schwerpunkt lag aber mehr auf klassischer Instrumentalmusik von der Renaissance bis zur (damaligen) Moderne, Orgelmusik zum Beispiel kam gar nicht vor...