Das alljährliche Konzert der Wiener Philharmoniker aus dem goldenen Saal des Wiener Musikvereins gehört zur Wiener Neujahrstradition wie das Amen im Gebet. Habt ihr es gesehen ? In der langen Pause ist jedes Mal ein musikalischer Film zu sehen, meist mit Balletteinlagen, diesmal aber im Bruckner-Jahr 2024 als "musikalische Entdeckungsreise" zweier St. Florianer Sängerknaben. Nachdem sich Anton Bruckner auch und gerade als Organist einen Namen gemacht hatte, durfte diesmal auch die Orgel nicht fehlen, was für einen Pausenfilm in einem Neujahrskonzert geradezu Seltenheitswert hat, wobei allerdings einiges nicht mit rechten Dingen zugeht:
Zuerst entlockt einer der beiden Sängerknaben einer ausgebauten(!) Klaviertastatur auf einem Dachboden einen vollen, verminderten Orgelakkord, dann schlägt der 2. Knabe auf besagter Tastatur eine Taste an, woraufhin die Klaviatur - selbständig wie von Geisterhand und v.a. ohne Pfeifen ! - die Fuge aus Bruckners Nachspiel in d-Moll spielt. In weiterer Folge - während die beiden Knaben durch diverse Räumlichkeiten des Stiftes laufen - sieht man, wie die österreichische Organistin und Pianistin Ines Schüttengruber auf einem Floß auf einem großen See in einem feuerroten Kleid auf einer Ahlborn Organum II die besagte Fuge weiterspielt. Etwas später, während das Stück weiter erklingt, sieht man die besagte Organistin an der "Bruckner-Orgel" der Stiftskirche St. Florian, wie sie das Stück zu Ende spielt. Wer auch immer sich das alles ausgedacht hat, scheint jedenfalls eine bunt blühende Phantasie zu haben, aber seht und hört selbst:
Deshalb ist auch nicht ganz klar, ob der zu hörende Orgelklang von der Organum II oder von der Bruckner-Orgel kommt. Für mich klingt das hier zu hörende fast mehr nach Digitalorgel, weil etwas steril. 🤔 Nicht der volle Akkord zu Beginn, aber die Fuge. Was meint ihr ? Wer wagt eine Diagnose ?
Ja, ein bisschen steril klingt es schon, aber es können ja auch Pfeifenorgeln steril klingen, wenn sie "perfekt" gestimmt, neobarock intoniert sind oder der/die OrganistIn zu dünn registriert. Rein logisch gesehen: Welchen Sinn würde es machen, in einer Sendung, die von so vielen europaweit, wenn nicht weltweit gesehen wird, eine Digitalorgel erklingen zu lassen, wenn eine berühmte Pfeifenorgel zur Verfügung steht, auf der Bruckner selbst gespielt hat? Die Organistin sitzt ja am Schluss des Stückes an der Bruckner-Orgel, also hatte sie offensichtlich Zutritt dazu. Die Hauptorgel von St. Florian wurde in ihrer langen Geschichte von so vielen, verschiedenen Orgelbauern umgebaut, sodass man längst nicht mehr von einer historischen Chrismann-Orgel sprechen kann, deshalb kann man auch nicht unbedingt erwarten, dass sie heute noch wie eine Orgel des 18. Jahrhunderts klingt. Die oben von dir verlinkte Aufnahme von Augustinus Franz Kropfreiter stammt aus den frühen 80er-Jahren, also aus der Zeit vor dem letzten Umbau durch Kögler, bei dem das Instrument bestimmt auch wieder neu (und vielleicht etwas steril) intoniert wurde. Deshalb sage ich, es ist die Bruckner-Orgel und nicht die Ahlborn.
🤦♂️ Erst jetzt fällt mir auf, dass bei der Organum II auf dem See nicht nur keine Register eingeschaltet sind, sondern die gesamte Orgel nicht eingeschaltet ist, deshalb leuchtet auch kein Display. Wie auch ? Auf einem Floß gibt es normalerweise keinen Strom und es wäre wohl auch gefährlich, ein Elektrogerät auf einem Floß zu betreiben. Das erhärtet natürlich Engelszorns These und die Szene mit der Orgel auf dem Floß dürfte reine "Show" sein. Aber ein bisschen steril klingt die Orgel für mich schon, ich hätte der "Bruckner-Orgel" jedenfalls einen volleren und lebendigeren Klang zugetraut.
Der Pausenfilm aus dem Wiener Neujahrskonzert wird in ORF II (TV) am 6. Jänner 2024 zwischen 09.05 und 09.30 Uhr wiederholt. Näheres über die Sendungen der öffentlich-rechtlichen Programme in deutscher Sprache in der 1. Kalenderwoche im Orgelmusik-Radioführer der GdO, den ich regelmäßig wöchentlich redigiere.
So (steril) klingt sicher nicht die Bruckner-Orgel, auf der ich vor mehr als 20 Jahren bei einer Hochzeit spielen durfte. Ich würde den Klang auf dem Video mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit der ORGANUM II zuordnen.
Die Pianistin und Organistin Ines Schüttengruber ist übrigens auch im südlichen NÖ in der Nähe von Wiener Neustadt zuhause, unterrichtet einige Stunden an der MDW-Wien und einige Stunden an der örtlichen Musikschule und war/ist als Organistin auch an der St. Georgskathedrale in Wiener Neustadt tätig. Diese ist auch Sitz des österr. Militärbischofs. Nähere Infos über I. Schüttengruber eher in Form einer persönlichen Mail als öffentlich im Forum.