Man sollte bei der Choralbegleitung des Gemeindegesanges bekanntlich immer "textbezogen" artikulieren, d.h. alle 4 Stimmen dort absetzen, wo neue Wörter beginnen oder 2 Silben durch harte Konsonanten getrennt werden, so habe ich es in der Kirchenmusikschule im Fach "Liturgisches Orgelspiel" (um ca. 2005) gelernt und versuche dies auch möglichst konsequent zu befolgen (außer ich kann den Text der 2. oder 3. Strophe nicht auswendig und konzentriere mich darauf, keine falschen Töne zu spielen, in solchen Fällen artikuliere ich irgendwie "nach Gefühl" ).
Wenn ich allerdings zeitlich ein paar Jahrzehnte zurückgehe und z.b. die Choralimprovisations-Schule von Hermann Keller (1885-1967) aufschlage, empfiehlt der Autor bereits im 1. Kapitel zum Thema "Phrasierung" ein "unauffälliges Absetzen der Melodie (nicht der übrigen Stimmen!) an Stellen, wo es der Sinn des Textes verlangt." Unter meinen 6 Orgellehrern war tatsächlich einer (ein bereits damals älterer Herr), der Keller´s Prinzip der Choralartikulation richtig fand und dies propagierte !
Letzteres widerspricht nicht nur dem aktuellen Artikulationsprinzip, das heutzutage die meisten Orgellehrer vertreten (und das ich an sich logisch und einleuchtend finde), ich hätte ehrlich gesagt auch echte Schwierigkeiten, nur die Melodiestimme zu artikulieren und die übrigen Stimmen streng legato zu spielen. Außerdem denke ich, dass letzteres irgendwie inkonsequent und komisch klingt, das klingt für mich eher so, als ob der Choral schlampig gespielt wäre. Wenn z.b. ein Chor einen vierstimmigen, homophonen Satz singt, setzten ja auch alle Stimmen textbezogen ab und nicht nur die Sopräne.
Was ist eure Meinung dazu ? So viel ich weiß, gibt es ja auch ein paar etwas ältere Forianer hier. Wie habt ihr es gelernt oder bei euren Vorbildern gehört ? Kennt ihr jemanden, der nur die Melodiestimme textbezogen absetzt oder habt ihr dies schon bei Gottesdiensten beobachtet ?