Als geforderter Kirchenorganist kommt man gelegentlich in die Situation, ein Lied spielen zu müssen, das man gar nicht vorbereitet hat, weil Zelebranten oft und gern spontane Änderungen des Liedplans vornehmen, oft erst 5 Minuten vor Messbeginn. Aber auch bei vorbereiteten Liedern ist es oft gar nicht so leicht, "auf Befehl" ein passendes, schönes und am besten auch noch stilgerechtes Vorspiel zu finden, wenn man gerade wenig Zeit hat. Deshalb sollte man sich als Organist in solchen Situationen zu helfen wissen. Einfach den Anfang und den Schluss des Choralsatzes aneinanderzureihen, davon hat uns in der Kirchenmusikschule unser Lehrer im Fach "Liturgisches Orgelspiel", Herr Dr. Wolfgang Reisinger, ausdrücklich abgeraten, weil das ziemlich plump und einfallslos wirkt.
Zu diesem Zweck hat er uns ein ganz simples "Rezept" mit auf den Weg gegeben, mit dem man anhand eines Begleitsatzes ein einfaches Choralbicinium improvisieren kann:
Man nehme einfach die Melodiestimme und die Bass-Stimme des Choralsatzes und spiele diese, am besten auf getrennten, unterschiedlich registrierten Manualen und fertig ist ein - zwar recht simples, aber absolut souveränes - Choralbicinium. Okay, das ist jetzt noch keine Improvisation, sondern nur eine kleine Übung in "Partiturspiel".
Wenn man es etwas professioneller machen will, kann man die Melodie und/oder auch die Basstimme - z.b. mit Trillern, Schleifen und Figurationen - verzieren. Ich habe mir angewöhnt, mit der Bass-Stimme allein zu beginnen (bevorzugt auf dem Nebenmanual, mit dunklen Flöten oder anderen Grundstimmen) und darin die Melodie oder auch die Begleitung vorwegzunehmen und mit der Melodiestimme - nach Art eines "Cantus firmus" - erst etwas später einzusetzen (bevorzugt auf dem Hauptwerk mit einer Kornett-Registrierung).
Wenn man noch versierter ist, kann man natürlich auch die Bass-Stimme frei improvisieren.
Ich denke, dieses einfache "Rezept" ist nicht schwer anzuwenden und man kommt damit nie wieder in die Verlegenheit, nicht zu wissen, wie man ein Vorspiel "aus dem Hut zaubert", wenn einem die Zeit zur Vorbereitung fehlt, ich wünsche euch gutes Gelingen und viel Spaß dabei !
Danke für diesen Thread. Ich bin gerade dabei, mich in dieses für mich nicht so leichte Thema einzuarbeiten. An Literatur kann ich hierbei sehr die "Orgelimprovisation mit Piff" von Peter Wagner empfehlen. Das 75-seitige Heftchen richtet sich an Nebenamtler und Orgelschüler und erarbeitet, ausgehend vom vierstimmigen Orgelbuchsatz, verschiedene Vor- und Zwischenspieltypen in 26 Lektionen in aufsteigender Schwierigkeit und Komplexität. Die erste Lektion befasst sich just mit der von Dir geschilderten Methode einer Reduktion des vierstimmigen Choralsatzes auf Sopran- und Basstimme mit dann figuriertem Cantus firmus. Es folgen Abwandlungen/Weiterentwicklungen als Trio mit figurierter Mittelstimme, Duo und Trio mit Vorimitation, Soprandurchführung mit koloriertem Cantus firmus usw. bevor dann im 2. größeren Abschnitt Vorspiele als Präludium, Fughette, Pedalsolo, Meditation und Toccata eingeführt werden. Im letzten Abschnitt werden dann vom Orgelbuchsatz losgelöste Satztechniken, namentlich Mixturklänge, Kanonische Formen und Ostinato-Techniken behandelt. Die einzelnen Abschnitte sind knapp, aber verständlich gehalten und haben als Basis gängige Lieder aus dem Gotteslob bzw. EG. 40 Hörbeispiele liegen auf einer Begleit-CD bei.
Zitat von Romanus im Beitrag #1...Man nehme einfach die Melodiestimme und die Bass-Stimme des Choralsatzes und spiele diese, am besten auf getrennten, unterschiedlich registrierten Manualen und fertig ist ein - zwar recht simples, aber absolut souveränes - Choralbicinium. Okay, das ist jetzt noch keine Improvisation, sondern nur eine kleine Übung in "Partiturspiel"....
Hallo Roman Was du schreibst, entspricht meiner Methode, mit der ich oft die Stücke aus dem Orgelbüchlein von Bach beginne zu lernen - allerdings gleich mit dem Bass im Pedal.
Das hier dankenswerterweise erwähnte Improvisationsbuch mit beiliegender CD von Peter Wagner war die 1. Improvisationsanleitung, die ich kennengelernt habe, ich habe es bereits seit mindestens 10 Jahren. Mittlerweile wurde diese Improvisationsschule mit einem 2. Band fortgesetzt, hier kann man beide Bände (jeweils mit CD) im Set bestellen: Peter Wagner: Orgelimprovisation mit Pfiff Band 1+2
Übrigens, in der exklusiv für unsere Forianer zugänglichen Bibliothek findet ihr ein Beispiel für ein anhand eines Choralsatzes improvisiertes Choralbicinium, das aus einer Kombination der (figurierten) Melodiestimme und der (leicht veränderten) Bass-Stimme entstanden ist. Zu Beginn wird die Melodie im Bass als "Vorimitation" vorweggenommen, nach 4 Takten tritt der figurierte Cantus firmus hinzu. Dieses Improvisationsmodell ist so herrlich einfach und praktisch, weil leicht ausführbar und klingt dabei stilvoll und professionell, probiert diese Improvisationstechnik auch einmal aus, ich finde, es macht sogar Spaß ! Roman Jungegger: Alles meinem Gott zu Ehren (Choralbicinium)
Moin in die Runde, ich bin immer wieder erstaunt, wie das mancherorts mit den Liedplänen gehandhabt wird. Ich bekomme alle Liedpläne für ein Vierteljahr im Voraus. Noch dazu bin ich autorisiert, alle Nummern zu ändern, ausser, wenn diese unterstrichen sind. Das ist aber eigentlich nur einmal im Jahr der Fall bei der Pfingstsequenz. Und immerhin ist mein "Chef" Professor für Liturgik in Rom! Da kann ich nur raten, mal mit den Verfassern der Liedpläne zu reden und unschöne Dinge anzusprechen. Kommunikation ist alles. Ahoi ;-))