Es muss nicht immer Orgel sein, gerade höre ich wieder einmal diese wunderschöne CD: J. S. Bach: 4 Cembalokonzerte (Münchener Bach-Orchester / Karl Richter) Das ist irgendwie genau die richtige Musik für häuslich-gemütliche Winterabende, wenn draußen Kälte und Schlechtwetter herrschen und man froh ist, dass man nicht raus muss.
Die mittlerweile schon historische Aufnahme aus dem Jahr 1973 lässt 4 Bach´sche Cembalokonzerte in - für meine Ohren - höchster Vollendung erklingen und das auch noch mit einer Steigerung, denn bei jedem nächsten Konzert kommt eine zusätzliche, hochkarätige Cembalistin hinzu:
Konzert für Cembalo und Orchester d-Moll BWV 1052 (Dieses Konzert wird in anderen Aufnahmen oft als Orgelkonzert interpretiert, klingt aber auf dem Cembalo nicht weniger eindrucksvoll.) Solist: Karl Richter
Konzert für 2 Cembali und Orchester C-Dur BWV 1061 Solisten: Karl Richter / Hedwig Bilgram
Konzert für 3 Cembali und Orchester d-Moll BWV 1063 Solisten: Karl Richter / Hedwig Bilgram / Iwona Fütterer
Konzert für 4 Cembali und Orchester a-Moll BWV 1065 (Dieses Konzert ist eine Transkription von Vivaldi´s Concerto für 4 Violinen und Streicher h-Moll, Opus 3/10 aus „L’Estro Armonico“) Solisten: Karl Richter / Hedwig Bilgram / Iwona Fütterer / Ulrike Schütt
Karl Richter´s Aufnahmen mit seinem Münchener Bach-Orchester gehören für mich auch heute noch zum Besten, was der Klassik-CD-Markt zu bieten hat, aber diese Einspielung ist für mich ein ganz besonderes Highlight: Die geschmeidigen Streicherklänge des Münchener Bach-Orchesters werden hier von billanten Cembaloklängen "überzuckert" und lassen Bach´s bzw. Vivaldi´s Musik zeitlos-frisch und lebendig wirken. Ich wurde vor ein paar Jahren zufällig auf diese geniale Einspielung aufmerksam, als ich auf der Weihnachts-CD Weihnachten in Leipzig den 1. Satz aus dem Konzert für 4 Cembali in eben dieser Interpretation hörte. Danach habe ich natürlich sofort nach der vollständigen Aufnahme gesucht und wurde bei Amazon promt fündig. Ich habe natürlich zum Vergleich auch andere Interpretationen dieses Konzertes gehört, aber für mich reicht keine davon an den Charme und die zeitlose Faszination von Karl Richter´s Einspielung von 1973 heran.
Irgendwie klangen die Cembali auf den Aufnahmen aus dieser Zeit so ganz anders als jene, die man auf zeitgenössischen Einspielungen hört: Mehrchörig, voller, fast ein bisschen "orgel-artig" und zugleich kristallklar, diese Klänge erinnern mich immer ein bisschen an klirrendes Eis im Winter, seit ich als Kind Vivaldi´s Winter in der ebenfalls aus dieser Zeit stammenden Interpretation von Jaap Schröder mit dem Concerto Amsterdam mit ebensolchen Cembalo-Klängen gehört habe. Vielleicht kann uns Cembalo-Experte MAT erklären, warum man diesen Cembalo-Klang auf modernen Aufnahmen vergeblich sucht, wenn er wieder einmal hier reinschaut.
Als Student besass ich die Aufnahmen auch mal, damals noch auf Langspielplatten, und ich kann dir voll zustimmen: das ist Barockmusik von Allerfeinsten. Und Karl Richter war auch ein Ausnahme-Musiker, leider ist er viel zu früh gestorben. Ich habe ihn mal in einer Filmaufnahme gesehen, wo er auf der Orgelbühne Reporterfragen beantwortete - und im Hintergrund qualmte eine Zigarette; vermutlich seine...
Aufnahmen dieses Organisten passen übrigens auch gut in die Osterzeit.
Was ich allerdings nicht ganz verstehe: Auf YT steht im Titel der Playlist "Vol. 1", auf der CD aber nicht. Nun ja, es könnte natürlich sein, dass sich Herr Oster erst nach dem Erscheinen der CD entschlossen hat, eine Fortsetzung aufzunehmen, aber wo findet man diese, wenn sie nicht mal in der Diskographie auf Rainer Osters Homepage aufscheint ? 🤔
Tja, ich bin nicht MAT, aber ich versuche mal eine Antwort, im Bewusstsein, dass ich mich damit nicht so richtig beliebt mache...
Als Enkelschüler von Richter bin ich nun alles andere als ein Fan von ihm. Das mag natürlich insgesamt das Urteil trüben. Tatsächlich finde ich diesen steifen "Bach-Strich" bei den Geigen, das erstickende Legato im Cembalo und das gräßliche Cembalo wenig erbaulich, abgesehen davon, dass es offenbar Metronom zum Frühstück gab...
Wie sind nun diese Instrumente entstanden? Ganz einfach: Man wollte Cembali nachbauen und hat die Klavierbauer gefragt. Die haben sich unrestaurierte und unspielbare historische Cembali angeschaut und gesagt: "Die Dinger haben nie richtig funktioniert. Aber keine Angst, wir schaffen das, schließlich haben wir den Konzertflügel gebaut." Und dann hat man statt eines Holzrahmens einen Stahlrahmen gebaut, eine "vernünftige" Dämpfung, statt Kielen hat man Leder genommen usw. Herausgekommen sind unglaublich schwere Instrumente, die sich wie ein Klavier spielen und wo leider nichts mehr resoniert. In Cembalistenkreisen "Panzer" genannt und kein Cembalist würde sich auf so einem Gerät hören lassen, es sei denn man sucht nach dem Originalklang für Distlers Cembalokonzert. Da geht auch kein Cembalobauer mehr ran, deshalb gibt es die Teile zu Schleuderpreisen in der E-Bucht. Wenn jetzt dem 8' in der Höhe mangelt, was ihm in der Tiefe fehlt, fängt man mit 16' und 4' an, teilweise sogar mir 2'. Und weil man es kaum länger erträgt, gab es Pedale zum Umregistrieren. Mit einem historischen Cembalo, wo ein 8' alleine eine Offenbarung sein kann, hat das dann wenig zu tun.
Ich weiß, das kommt jetzt etwas undiplomatisch über die Rampe, sorry, aber als Cembalist stehe ich hier und kann nicht anders.
Es ist schon lange bekannt, dass sich Karl Richter nicht von der "historischen Aufführungspraxis" (manchmal kann ich diesen Begriff schon nicht mehr hören) vorschreiben ließ, wie man Bach und seine Zeitgenossen "nach aktuellem Standard" zu spielen hat. Böse Zungen behaupten sogar, Karl Richter würde heute keine Aufnahmeprüfung am Konservatorium mehr bestehen. Wenn ich Musik höre oder spiele, ist das auch nicht mein Hauptkriterium, es muss für mich einfach "schön" klingen, mich ästhetisch ansprechen und das tut Richters Einspielung der Bach-Vivaldi´schen Cembalokonzerte mehr als alle moderneren Aufnahmen, die ich bisher gehört habe. Ich sehe Musik ganz allgemein einfach mehr als ästhetische Kunst und weniger als Wissenschaft.
Natürlich kann ein 8´-Fuß alleine auch gut klingen, wenn er gut gemacht ist, auf dem Cembalo wie auf der Orgel. Trotzdem klingt es für mich im Vergleich zu den alten Aufnahmen einfach dünn und dumpf, wenn man bei moderneren Cembalo-Aufnahmen immer nur 8- und maximal vielleicht 4-Füße hört. Letzteres mag noch so "historisch" sein, aber was spielt das eigentlich für eine Rolle, wenn man Musik einfach nur genießen will ? Die Richter-Cembali klingen für mich einfach herrlich, auch wenn sie heute noch so verpönt sein mögen, wahrscheinlich auch deshalb, weil die Aufnahmen aus dieser Zeit die ersten Aufnahmen von Barockmusik waren, die ich gehört habe und das prägt natürlich mein musikalisches Emfinden enorm. Ich kann mir nicht helfen, aber ich emfinde schon allein diese dünn klingenden, kratzenden Geigen bei vielen modernen (der historischen Aufführungspraxis entsprechenden ?) Aufnahmen einfach furchtbar und höre mir dann lieber alte Aufnahmen von Richter, Karajan, Hans Stadlmair und deren Zeitgenossen an.
"Historische Aufführungspraxis" ist okay, wenn man die Musik bis ins letzte Detail wissenschaftlich analysieren und zerpflücken will, sie wird in ihrem historischen Anspruch aber auch nie perfekt sein können, aus dem einfachen Grund, weil es keine ZeitzeugInnen mehr geben kann und man eben nur aus erhaltenen Noten, Schriften und sonstigen Dokumenten Rückschlüsse ziehen kann, die auch nicht immer zwangsläufig unfehlbar sein müssen.
Für mich hat es auch seine Berechtigung, einfach nur "schöne" Musik zu machen, das ist Richter in vielen Fällen gelungen, nicht umsonst war er zu Lebzeiten einer der beliebtesten Bach-Interpreten und seine zeitlosen Aufnahmen begeistern auch heute noch viele. Sind das wirklich alles nur Stümper, die nichts von Musik verstehen ?
Ich habe mal auf irgendeiner anderen Plattform den Satz gelesen: "Heute spielt man historischer, früher spielte man schöner." Das ist wohl ziemlich überspitzt und klischeehaft, aber es ist für mich ein Ausdruck gelebter künstlerischer Freiheit. Richter, Karajan & Co. mögen nach dem heutigen Stand der Wissenschaft nicht historisch korrekt sein und doch sind sie Kult, auch heute noch.
Zitat von Romanus im Beitrag #5 Ich habe mal auf irgendeiner anderen Plattform den Satz gelesen: "Heute spielt man historischer, früher spielte man schöner." Das ist wohl ziemlich überspitzt und klischeehaft, aber es ist für mich ein Ausdruck gelebter künstlerischer Freiheit. Richter, Karajan & Co. mögen nach dem heutigen Stand der Wissenschaft nicht historisch korrekt sein und doch sind sie Kult, auch heute noch.
Diejenigen, die Deine Wahrnehmung als "schön" teilen, werden meiner Beobachtung nach immer weniger.
Als ich in den 70er Jahren meine ersten CDs anschaffte (auch vorher schon Vinyl-Platten), war Karl Richter das Non-plus-Ultra der Bach-Interpretation. Heute nicht mehr. Nur ein Beispiel: die eigenwilligen Generalbass-Aussetzungen Richters und Bilgrams auf Orgel und Cembalo, bei denen man den Eindruck bekam, Bach hätte vergessen, die hinzugefügten Melodien selbst zu komponieren. Die spitzen Klänge seiner Cembali mag ich nicht mehr hören. Da dann schon lieber die Einspielungen der Nederlands Bach-Vereinigung, die von Rudolf Lutz, von M. Suzuki oder Herreweghe.
Das heißt aber nun nicht, dass ich alles gut heiße, was die heutigen produzieren. Die teilweise überhitzten Tempi mag ich genauso wenig wie die Manier bei Lutz, bei den Chorälen der Bach-Kantaten dem Generalbass-Organisten Zeilen-Zwischenspiele aufzuerlegen, was historisch nicht nachgewiesen ist.
Zitat von Romanus im Beitrag #5 Ich habe mal auf irgendeiner anderen Plattform den Satz gelesen: "Heute spielt man historischer, früher spielte man schöner." Das ist wohl ziemlich überspitzt und klischeehaft, aber es ist für mich ein Ausdruck gelebter künstlerischer Freiheit. Richter, Karajan & Co. mögen nach dem heutigen Stand der Wissenschaft nicht historisch korrekt sein und doch sind sie Kult, auch heute noch.
Diejenigen, die Deine Wahrnehmung als "schön" teilen, werden meiner Beobachtung nach immer weniger.
Ist mir noch nicht aufgefallen, aber selbst wenn das so sein sollte: Ich bin kein Politiker, also können mir "Mehrheiten" egal sein. 😎
Zitat von Harmonist im Beitrag #6Als ich in den 70er Jahren meine ersten CDs anschaffte (auch vorher schon Vinyl-Platten), war Karl Richter das Non-plus-Ultra der Bach-Interpretation.
In den 70ern gab es noch keine CDs zu kaufen, ich erinnere mich noch gut daran, dass 1982 die CD als neues Speichermedium für Musik "in höchster Wiedergabequalität" Schlagzeilen machte.
Zitat von Romanus im Beitrag #7... In den 70ern gab es noch keine CDs zu kaufen, ich erinnere mich noch gut daran, dass 1982 die CD als neues Speichermedium für Musik "in höchster Wiedergabequalität" Schlagzeilen machte.
Ganz richtig. 1982 gab es in Düsseldorf die Messe HiFi-Video (ich war 1982 und 1984 dort, eine Gegenveranstaltung zur Funkausstellung in Berlin) mit einer der großen Premiere der CD. Ich war "Early Adopter", es gab erst mal nur drei Modelle von CD-Playern, kosteten damals alle um die DM 2000, war nicht gerade wenig. CDs gab es erst nur wenige, weltweit nur 4 Werke zur Herstellung (1 in D, 3 in JP).
Man möge doch meinen Irrtum in zeitlicher Hinsicht dem altersbedingten Nachlassen meines Gedächtnisses zuschreiben. Sorry! Mir ging es um Karl Richter.
Vielleicht liegt ein grundlegendes Missverständnis der HIP Szene vor. Das legt für mich jedenfalls das Wort "vorschreiben" nah. Denn genau das liegt der HIP Szene nun wirklich fern. Bei Richter hingegen bestand der ganze Orgelunterricht aus Vorschriften.
Keiner würde je behaupten, man wüsste, wie bei Bach geklungen hat. So dämlich ist nun auch kein hipper Musiker. Es geht vielmehr um Respekt und eine andere Sicht auf die Geschichte. Grundannahme ist eben, dass die Musik einer bestimmten Zeit in sich schlüssig und perfekt ist und natürlich mit dem Instrumentarium der Zeit rechnet. Und eben auch, dass die Instrumentenbauer nicht blöd waren. 1750 hatte man 300 Jahre Erfahrung mit Cembalobau, da kann mir doch keiner erzählen, die hätten Instrumente gebaut, die nie richtig funktioniert haben.
Das widerspricht einer musikhistorischen Sichtweise, die in der Weiterentwicklung einen unbedingten Fortschritt zum besseren sehen möchte. Das hatten wir Anfang des 20. Jh. ja oft, dass z.B. Buxtehude nur erwähnt wurde, weil er Bachs Lehrer war, seine Musik ansonsten aber nur als "Vorstufe" zur wahren Kunst angesehen wurde, die mit Bach oder gar Beethoven begann.
Dazu gehört dann eben auch, dass man versucht, sich bewusst zu machen, was damals übliche Gepflogenheit war und jedermann wusste. Dazu kann man eben verschiedene Quellen heranziehen. Natürlich wird einiges Spekulation bleiben. Aber außer Glenn Gould würde eigentlich keiner in einer Beethoven-Sonate ff spielen, wenn Beethoven pp schreibt. Man versucht also, möglichst nah an den Intentionen des Komponisten zu bleiben. Warum sollte das nicht auch für ältere Musik gelten?
Wer wirklich einmal in der alten Musik unterwegs war, weiß, dass es viel mit Ausprobieren zu tun hat. Ich erinnere mich an eine Stunde zu Anfang des Cembalostudiums, wo ich mit einem Stück von Frescobaldi in den Unterricht kam und etwas verzweifelt sagte: Ich weiß nicht, wie diese oder jene Stelle geht. Die Antwort meines Professors war: Kein Problem, ich weiß es auch nicht, aber wir können ja mal zusammen suchen.
Was jetzt die Cembali angeht, muss man nun einfach sagen, diese Kisten von Neupert, Ammer oder Sperrhake klingen einfach nicht gut und spielen sich nicht gut. Wenn jetzt jemand das Gegenteil behauptet und sagt, ich höre das umgekehrt, dann ist das einfach so. Immerhin bekommt man dann doch recht günstig das Trauminstrument für's Wohnzimmer. Hat doch auch was.
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06.02.2021 19:26 (zuletzt bearbeitet: 06.02.2021 22:46)
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