Vielleicht tut Bossert da des Gutes etwas zuviel. Bach Exposition eines unbekümmerten Concertosatzes erweitert er ja um eine Harmonik, gegen die das e-moll blass aussschaut. Ob Bach das gemeint hat? Ich finde auch, das Tempo trifft den Charakter des Stückes eigentlich nicht.
Mir gefällt die klassizistische Version Stockmeier deutlich besser, leider auch etwas akademisch gespielt und viel zu sehr legato:

Ich teile Deine Einschätzung, lieber Axel, zu Bosserts Ergänzung. Hier sprengt er die Relation zwischen der überlieferten Substanz und seiner Fortführung und kommt so auf eine Aufführungsdauer von 9 Minuten, von denen etwa 1 Minute auf Bachs 13 Takte entfällt. Das liegt auch an dem eingebauten Fugato, aber vor allem an der unbachischen harmonischen Fortführung. Bei uns würde man sagen: Da ging Bossert "der Gaul durch".
Stockmaiers Ergänzung ist zwar stilistisch näher an Bach, sprengt aber durch seine eingelagerte Fuge mit 6:30 Minuten in seiner von ihm selbst zügig eingespielten Fassung den Rahmen.
Der Beitrag gibt mir aber Gelegenheit, auf weitere Ergänzungs-Projekte zu BWV 573 aufmerksam zu machen:

Die älteste Fassung stammt von Arnold Strebel zum "Deutschen Kirchengesangstag 1933" gefertigt, mit 4o Takten und einer Aufführungsdauer von ca. 3 Minuten, veröffentlicht in dem Heft "Alte Orgelmusik", hrsg. von Walter Supper, Merseburger 811.

Dann die wohl bekannteste Ergänzung durch Hermann Keller, gedruckt in "Orgelvorspiele alter Meister in allen Tonarten", BA 668. Diese spiele ich übrigens morgen als Eröffnungsstück im Gottesdienst. Aufführungsdauer mit 36 Takten spielbar in 2 Minuten.

Gedruckt liegt ferner vor eine Fassung von Lorenzo Ghielmi, erschienen bei "la divina harmonia" mit 40 Takten, zusammen mit weiteren unvollendeten Orgelwerken ediert.

Die Stockmeier-Fassung gibt es in einem Heft aus der bei Kistner & Siegel erschienenen Reihe "Die Orgel", Reihe II Nr. 25 zu kaufen.

Auf Youtube sind alle diese Fassungen zu hören. Dazu kommen dann noch eine improvisatorische Ergänzung durch Sietze de Vries, der die Fantasie durch eine imrovisierte Fuge ergänzt; sowie eine Fassung von H.A. Stamm, der es fertig bringt, trotz Ergänzung unter 2 Minuten zu bleiben, während Bernhard Schneider und Axel Fischer für ihre Kurz-versionen 3:30 Minuten benötigen.
Falls gewüncht, liefere ich die Youtube-Links nach.

Arnold Strebel (Bernhard Schneider an der Klais-Orgel der St. Aegidien-Kirche in Braunschweig)
Hermann Keller (Axel Fischer an der Eule-Orgel der St. Johannis-Kirche in Lüchow)
Lorenzo Ghielmi (Lorenzo Ghielmi an der Rieger-Orgel im Dom zu Essen)
Sietze de Vries (Sietze de Fries an der Flentrop-Orgel der St. Nikolaus-Kirche in Ghent)
Hans-André Stamm (Hans-André Stamm an der Strutz-Orgel der Christuskirche in Leverkusen)

Die von Bernhard Schneider und Axel Fischer ergänzten Fassungen konnte ich leider nicht finden, vielleicht kann unser Harmonist die noch verlinken.

Zitat von Engelszorn 8´ im Beitrag #5

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Arnold Strebel (Bernhard Schneider an der Klais-Orgel der St. Aegidien-Kirche in Braunschweig)
Hermann Keller (Axel Fischer an der Eule-Orgel der St. Johannis-Kirche in Lüchow)
Lorenzo Ghielmi (Lorenzo Ghielmi an der Rieger-Orgel im Dom zu Essen)
Sietze de Vries (Sietze de Fries an der Flentrop-Orgel der St. Nikolaus-Kirche in Ghent)
Hans-André Stamm (Hans-André Stamm an der Strutz-Orgel der Christuskirche in Leverkusen)

Die von Bernhard Schneider und Axel Fischer ergänzten Fassungen konnte ich leider nicht finden, vielleicht kann unser Harmonist die noch verlinken.

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Bei Ergänzungen ist es ja immer eine Gewissensfrage, was man macht. Nur soviel ergänzen, dass das Stück aufführbar ist? Oder mehr?

Ich erinnere mich an einen Höranalysekurs im Studium, wo uns der Dozent den Anfang von Beethovens Missa solemnis vorspielte und sagte: Nach dem ersten Kyrie sind eigentlich auch die Dimensionen klar: Unter einer Stunde wird das hier nichts, eher anderthalb. Klar, das ist leicht gesagt, man weiß ja, wie lange es dauert. Aber die Idee, dass sich in den ersten Takten die Dimensionen des Stückes ankündigen, ist mir sehr plausibel. Hier hätte ich jetzt 5 Minuten getippt. Nicht so monumental wie 546 oder 548, aber auch kein ganz kleines Stück.

Die kürzeren Versionen von Arnold Strebel und Hermann Keller haben den Vorteil, dass sie auch im Gottesdienst verwendet werden können. So habe ich gestern die Keller-Fassung zur Eröffnung des Gottesdienstes gespielt und daran direkt ohne weitere Intonation das Lied GL 348 angeschlossen. Ging prima! Die längeren Alternativen kann man im Grunde nur konzertant verwenden, wobei der Spieler seine Virtuosität unter Beweis stellen kann. Beides ist legitim.

Meine - nicht gesicherte - Theorie zur Entstehung des Fragmentes: Bach hat keinewegs das Stück beiseite gelegt, weil es ihm nicht mehr gefallen oder er es nicht der Vollendung wert erachtet hätte. Es ist gedacht als Improvisationsanleitung für Frau und Söhne, wobei man es zuhause mit dem Pedalcembalo geübt hat. Es steht ja bewußt am Anfang des Notenbüchleins für Anna Magdalena Bach.

Zitat von Harmonist im Beitrag #8

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... Es steht ja bewußt am Anfang des Notenbüchleins für Anna Magdalena Bach.

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