Hier ein paar Details zur historischen Orgel in der Gültlinger Michaelskirche. Gültlingen liegt am östlichen Rand des nördlichen Schwarzwalds und streng genommen eigentlich schon im Gäu, weil die Nagold im Tal als offizielle Grenze des Schwarzwaldes fungiert. Auch ist der Boden hier schon Muschelkalk und nicht mehr der Buntsandstein des Nordschwarzwalds, was eine völlig andere Flora erzeugt.

Die Orgel wurde 1815 von der lokal sehr bekannten Orgelbauer-Dynastie Weinmar (auch Weimar oder Wümer) gebaut, wobei die zweite und dritte Generation in Frage kommt. Da die dritte und letzte Generation im Ruf der unsoliden Arbeit stand, war es wohl der Vater, der vielleicht mit seinem Sohn zusammen gearbeitet hat. Der Großvater, der als bedeutendster Orgelbauer der Familie zu gelten hat, war jedenfalls schon tot.

Die Orgel hat nur ein Manual:
Prinzipal 8'
Gedeckt 8'
Flöte 8'
Gamba 8'
Oktave 4'
Flöte 4'
Oktave 2'
Quinte 2 2/3'
Mixtur 4f
Kornett 4f (ab c')

Im Pedal:
Subbaß 16'
Violonbaß 16'
Oktavbaß 8'

An weiteren Zügen nur I/P, kein Tremulant.

Mechanik und Spieltisch sind original erhalten, die Metallpfeifen bis auf den Prospekt ebenfalls. Hölzeren Pfeifen (darunter die ganze Flöte 8') mussten im Lauf der Jahre teils ersetzt werden. Die Stimmung ist seit 2014 auf meinen Rat hin leicht ungleichstufig (Neidhard "große Stadt"). Gewöhnungsbedürftig an der Orgel ist das extrem hohe Tastengewicht. Ich kenne keine Orgel im weiten Umkreis, die mehr Kraft zum Spielen braucht, aber durch die direkte und präzise Mechanik macht es trotzdem Spaß, schnelle Figurationen auf ihr zu Spielen.

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[[File:Orgel Gültlingen Spieltisch.jpg|none|auto]]
[[File:Orgel Gültlingen Pedalwerk.jpg|none|auto]]

Und hier noch mein ausführlicher Text im Gemeindebrief anlässlich der Ausreinigung in Vorbereitung des Jubiläums 2014:
[[File:Orgel Gültlingen Bericht 1.jpg|none|auto]]

Das mit den Bildern klappt irgendwie nicht ganz, nur das Letzte wurde korrekt eingebunden 😣...

Man ist wahrscheinlich versucht, in dieser Disposition mit 4x8' im Manual schon die heraufziehende Romantik zu erkennen, aber das ist für den Württemberger Raum eine sehr konservative Registrierung, die weit ins 18. Jahrhundert weist! Zum Vergleich das Hauptmanual der Ehrlich-Orgel von 1747 in Bad Wimpfen, welches nahezu gleich disponiert ist: Principal 8′, Groß Gedackt 8′, Quintade 8′, Viola da Gamba 8′, Octave 4′, Quint 3′, Octave 2′, Klein Gedackt 2′, Mixtur IV–V 1 1⁄2′, Cornet 1′

Hier kommt ein Tondokument der Orgel, welches ich letzten Sonntag nach dem Gottesdienst aufgenommen habe. Die Technik ist noch nicht perfekt. Der Digitalrecorder für die Musik steht zu weit weg, daher ist das Klangbild etwas indirekt und die Orgel zeichnet nicht so gut. Auch merkt man in den Koloraturen etwas den Kampf mit dem unglaublich schweren Tastengewicht... Aber man kann sich ja noch verbessern!
Zu Beginn hört Ihr Prinzipal 8' (modern, da Kriegsverlust), Oktave 4' und 2' mit der Quinte 2 2/3'. Die merkwürdige Schlusskadenz mit dem gis im Triller über dem liegenden g stammt aus der Quelle und ist von der Stimmführung her eigentlich logisch. Ich habe lange Zeit auch oben g gespielt, bin aber jetzt der Meinung, dass das gis durchaus reizvoll ist und eine der Dissonanzen darstellt, die im weichgespülten Palestrina-Stil aus der Hörerfahrung gefallen sind.
Als meditatives Nachspiel erklingt die original erhaltene Flöte 4', welche ich besonders liebe, die aber leider mal wieder eine Stimmung vertragen könnte...
https://www.youtube.com/watch?v=SlttVBRup0k

Danke, die Orgel ist in der Prinzipalreihe eben noch ziemlich barock und nicht zu eng mensuriert, daher näher am Italienischen Klangbild als Norddeutsche Barockorgeln!
Für die, welche sich für musiktheoretische Fragen interessieren: der Schluss bei Gabrieli ist eine ganz gewöhnliche Erhöhung des Leittons im Triller, nur leider in einer plagalen Kadenz auf den Quintton zielend. In meiner Ausgabe (Bärenreiter) steht auch g als Vorschlag, aber gis ist logisch konsequent und wenn man sich reingehört hat, gefällt einem die Fassung mit g nicht mehr, da sie ebenfalls komisch ist, aber die Schlusswirkung viel schwächer und unlogisch! Ich habe jüngst eine Edition zweier Chorbücher aus Sankt Gallen erstellt, die auch aus Gabrielis Zeit stammen, und da gibt es regelmäßig eine Kadenzfloskel bei der zum überhängenden Quartvorhalt in einer anderes Stimme schon die Terz hinzu tritt. Das klingt auch "very strange", war damals aber offenbar modern. Oder nehmt den sogenannten "Corelli-Clash", der auch bei Buxtehude immer wieder vorkommt, 1/4/5 "aufgelöst" nach 1/3/4. Das war so eine Mode, die einmal quer über Europa gschwappt ist und dann wieder vergessen war. Corelli selbst verwendet diese Kadenz auch nur in einem seiner Drucke und dann nicht mehr...

Sehr schön, danke!!

Also das Verstimmte fällt nicht wirklich auf.
Aber das Problem kenn ich auch, und in der derzeitigen Situation wärs bei uns nicht zielführend, die Orgel zu stimmen, weil dauernd gelüftet wird....durch die dzt. hohe Luftfeuchtigkeit hängen am Samstag sicher wieder ein paar Tasten..

https://www.youtube.com/watch?v=6PggqV8beHc
Dieses mal mit Sologeige (bisschen Kitsch muss sein...) und die Orgel mit den Registern Gamba 8' und Gedackt 8' in Kombination. Die Gambe allein ist sehr schwach und spricht nicht deutlich, das Gedackt allein wäre auch zu schwach gewesen und mischt nicht so gut mit der Geige. Die Mischung der beiden Register ist eine sehr interessante Farbe und zeichnet hervorragend! Für die Triosonate am Schluss wäre die Orgel noch etwas lauter besser gewesen, aber das fiel beim Soundcheck leider nicht auf...
Und jetzt ganz ohne Bizzarien; einfach Bach, wie man es gewohnt ist, und die Tonsprache, welche wir mit der Muttermilch aufgesogen haben !