Als langjähriger Kirchenorganist habe ich ja alles schon oft gehört, aber bei diesem Evangelium, das heute wieder einmal auf dem Plan steht, schaudert´s mich immer wieder:
Mt 5,29: "Wenn dich dein rechtes Auge zur Sünde verführt, dann reiß es aus und wirf es weg! Es ist besser für dich, du verlierst eines deiner Glieder, als dass du ganz in die Hölle geworfen wirst. Und wenn dich deine rechte Hand zur Sünde verführt, dann hau sie ab und wirf sie weg! Es ist besser für dich, du verlierst eines deiner Glieder, als dass du ganz in die Hölle kommst."
Ich glaube, da würde ich es eher vorziehen, ganz (also in einem Stück) in die Hölle geworfen zu werden. Jemand, der die Symbolik nicht versteht und den Text zu wörtlich nimmt, könnte das glatt als eine Aufforderung zur Selbstverstümmelung auffassen und sich entsetzt vom Christentum abwenden. Oder - noch schlimmer - es befolgen ! Nicht auszudenken, was sich religiöse Fanatiker daraufhin antun könnten !
Ich muss ganz offen bekennen, dass ich diese Regel nie und nimmer befolgen würde und dass mich diese Radikalität in der Bibel geradezu abstößt !
Die Nr. 2 in meiner Liste der biblischen Regeln, die ich nie befolgen würde, ist übrigens (dagegen vergleichsweise harmlos):
Mt 5,39 "Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin."
Ich war nie der Typ, der dankbar die andere Wange hinhält und würde das auch niemandem empfehlen, der nicht masochistisch veranlagt ist.
Wenn ich sowas höre, denke ich mir immer: Wie gut, dass ich nur Organist und kein Priester bin, denn ich hätte echt ein Problem damit, sowas den Messbesuchern als "Wort Gottes" zu verkaufen. 🤦♂️
Mal ganz ehrlich: Wie geht es euch mit solchen Texten - speziell mit dem ersteren ! - bzw. was denkt ihr euch dabei ? Wie geht ihr damit um ? Kann man sowas als moderner, realistischer Mensch überhaupt in irgendeiner Weise ernst nehmen ?
Es betrifft die zweite Stelle, aber ich würde an der Stelle kurz etwas Licht auf linke und rechte Wange werfen wollen.
Zitat von Romanus im Beitrag #1Mt 5,39"Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin."Ich war nie der Typ, der dankbar die andere Wange hinhält und würde das auch niemandem empfehlen, der nicht masochistisch veranlagt ist.Wenn ich sowas höre, denke ich mir immer: Wie gut, dass ich nur Organist und kein Priester bin, denn ich hätte echt ein Problem damit, sowas den Messbesuchern als "Wort Gottes" zu verkaufen. ��♂️
Die Stelle ist ein gutes Beispiel für kulturellen Kontext, der mit der Zeit verloren gegangen ist - aber für die Interpretation ungeheuer wichtig ist. Die Römer kannten zwei Arten der Ohrfeige: - mit der Außenseite der Hand, auf diese Art wurden Sklaven geschlagen und gezüchtigt - mit der Innenseite der Hand, auf diese Art wurden Konflikte unter Gleichgestellten ausgetragen Was bedeutet das also: In der Bibelstelle wird zuerst von einer Ohrfeige auf die rechte Wange gesprochen, also auf die Wange, auf die Sklaven geschlagen werden. Wenn nun danach jemand die andere Wange hinhält wird der Angreifer damit vor ein Problem gestellt: Wenn er wieder zuschlägt erkennt er damit dem Gegenüber eine Gleichstellung zu. Das heißt, der Angreifer setzt sich entweder herab auf das Niveau eines Sklaven oder erkennt dem Angegriffenen doch zu, Gleicher zu sein. Was letztendlich bedeutet, dass hier eben gerade nicht "Frieden um jeden Preis" gilt, sondern der Frieden für den Angreifer teuer sein soll - aber eben durch einen moralischen "Angriff", nicht durch einen physischen Angriff.
Lieber Roman, zunächts kann ich Dein Befremden über diese Textstelle gut nachvollziehen. Aber es zeigt sich auch hier wieder, wie problematisch es sein kann, eine Bibelstelle aus ihrem Zusammenhang zu reisen, zu verabsolutieren und damit die Grundlage zu legen für eine Bibelexegese, die den Gehalt der Aussage nicht trifft. Denn Jesus geht es gerade nicht darum (wie es der im Zusammenhang zu verstehende Text von Mt. 5, 17-37 nahelegt), einzelne Aussagen der Schrift wörtlich zu nehmen, sondern den tieferen Zusammenhang zu erkennen, der darauf hinausläuft: ein friedliches Zusammenleben der Menschen zu ermöglichen. Vielleicht kann Dir der beiliegende Erklärungsversuch, den ich unserem heutigen Bistumsblatt entnommen habe, weiterhelfen. Viele Grüße vom Harmonisten
ZitatMt 5,39 "Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin."
Das Thema hatten wir neulich erst im Religionsunterricht, wir sind zu dem Schluss gekommen, dass es vielmehr eine Aufforderung zum gewaltlosen Widerstand ist: sich nicht brutal wehren, um sich damit auf die selbe Stufe herabzubegeben wie der, der mir was böses getan hat, sondern versuchen, ihn durch unsere eigenen guten Taten umzustimmen. In Vers 41 steht dann noch: "Und wenn dich jemand eine Meile nötigt, so geh mit ihm zwei." Im von den Römern besetzten Israel durften Soldaten, wenn sie jemandem auf dem Weg begegnet sind, diesen anweisen ihre Ausrüstung für eine Meile zu tragen. Wenn du sie aber zwei Meilen trägst, dann kann der Soldat auch vom Träger denken "Mensch der hilft mir ja, wenn ich ihn dazu anweise, und macht sogar mehr als er eigentlich müsste". Das kann entweder dazu führen, dass der Soldat es ausnutzt, oder aber, dass er auf eine gewisse Weise davon beeindruckt ist und es so zu einer Entspannung der Situation kommt und er in Zukunft von solchen Dingen absieht.
Das nützt gar nichts, wenn alle gemeinen Kirchenbesucher dieses Evangelium an den Kopf geworfen bekommen und niemand über den wahren Zusammenhang, wie es anscheinend hier berichtet wird, aufgeklärt wird.
Ich hab vor allem ein Problem damit, wenn ich die Erstkommunionskinder (und Eltern!) dazu ermuntern soll, in die Kirche zu gehen und dann wird so etwas nicht kindgerecht erklärt. Na Prost, ich freu mich schon auf die Mittwoch-Stunde...
Es gibt nichts in der Welt, das so wertvoll wäre, wie der Herzensfrieden. ~Franz v. Sales~
Die Forderung unseres Herrn unf Meisters, sich von all unseren Besitztümer loszusagen, empfinde ich als sehr viel weit gehender, als sich bloß von einem Auge oder einer Hand zu trennen. Wenngleich ich diesen Weg auch nur empfehlen kann.
So sind die Prioritäten einzelner Menschen, woran man am meisten hängt, wohl unterschiedlich. Ich finde, Geld zu verlieren ist ärgerlich und teuer, es mag Besitztümer geben, an denen man persönlich hängt, aber jeden materiellen Verlust kann man theorethisch irgendwann wieder ausgleichen. Aber Gesundheit und körperliche Unversehrtheit ist unbezahlbar und für mich wertvoller als alles Materielle dieser Welt. Ein Auge zu verlieren, entstellt das Aussehen (zumindest vorübergehend bis zur Implantation einer myoelektrischen Augenprothese) und reduziert die Sehkraft, aber eine Hand zu verlieren, ist für einen Organisten so ziemlich das Schlimmste, außer natürlich beide Hände, an sowas will ich nicht mal denken, ganz ehrlich, da würde ich den Tod vorziehen. Deshalb schockiert mich dieses Evangelium auch so, wenngleich es vermutlich nur symbolisch und nicht wörtlich gemeint ist, finde ich den bloßen Gedanken schon barbarisch und unterträglich brutal und natürlich kann es missverstanden werden.
Sagt mal, gibts bei euch keine Predigten? (Überspitzt gefragt.) Der Kontext und die Frage, wie das (heute) verstanden werden kann, kann / muss in ebendieser diskutiert werden. Gerade diese Stellen finde ich persönlich spannend und lohnend, weil sie irritieren, aufhorchen lassen, aufwühlen.
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Eines der brutalsten Evangelien
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12.02.2023 13:39
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