Wie bereits hier gesagt, fand ich es immer schon etwas schade, dass die wahrscheinlich allererste Orgel, die ich in meinem Leben gehört und gesehen habe, die (damalige) Christoph-Kauffmann-Orgel der Pfarrkirche St. Othmar meiner Heimatstadt Mödling, 1983 durch eine völlig neue Walcker-Orgel ersetzt wurde, wobei außer dem barocken Gehäuse absolut nichts mehr - keine einzige Pfeife ! - aus der alten Orgel übernommen wurde. Nicht dass die Walcker-Orgel schlecht wäre, denn das ist sie keineswegs, aber wer mich kennt, weiß, dass ich dazu neige, lieber Altes und Gutes zu bewahren anstatt alles neu machen zu wollen. Ich durfte im Jahr 1981, als ich mich darum beworben habe, als 13-jähriger Knirps in Mödling meine allerersten Messen spielen zu dürfen, 2x kurz auf der Mödlinger Christoph-Kauffmann-Orgel spielen und fand gerade diesen Klang besonders schön, er hat mein Klangideal geprägt und ich versuche heute noch, ihn möglichst getreu mit meiner Digitalorgel nachzubilden.
Als ich im Jahr 2007 im Rahmen des Mödlinger Orgelsommers konzertieren durfte, habe ich auch den damaligen Organisator des Mödlinger Orgelsommers und langjährigen Mödlinger Organisten, Herrn Fritz Handler, darauf angesprochen, warum man denn unbedingt alles neu machen musste und bekam als Antwort:
"Die Orgel hat aus dem letzten Loch gepfiffen, die historischen Pfeifen hatten Wände dünn wie Papier, die konnte man gar nicht mehr stimmen !"
War das damals wirklich das "schlagende Argument" der "Orgelexperten", die lieber alles neu bauen als restaurieren wollten ?
Ehrlich gesagt habe ich das immer bezweifelt, denn wenn man früher solche Pfeifen gebaut hat, dann war die Mödlinger Orgel sicher nicht die einzige, die solche Pfeifen hatte und andere historische Orgeln werden ja auch nach wie vor gestimmt und restauriert.
Was sagen die Pfeifenorgel-Experten unter euch ? Ist an der oben zitierten Begründung etwas Wahres dran oder war das eher eine Art "Totschlag-Argument", um den konservativen Orgelfreunden, die lieber die alte Orgel retten wollten, den Wind aus den Segeln zu nehmen ?
So ein Quatsch - sage ich als technisch verständiger Mensch. Dass alte Materialien oftmals delikat zu restaurieren sind, ist keine neue Erkenntnis. Wozu sind Restauratoren da? Und: warum sollten Pfeifen papierdünn werden? Verdunstet das Metall oder Holz beim Orgelspiel etwa?
Sicher werden nicht die ganzen Pfeifen papierdünn! Von Expertentum weit entfernt, kann ich dir nur weitergeben, was ich von einem Orgelbauer mal hörte, und zwar:
Jene Stellen, an denen während des Stimmens etwas verändert/geklopft wird, werden natürlich abgenutzt und dünner/brüchiger.
Ein oder zwei Mal, so damals jener Orgelbauer, könne er die Orgel noch stimmen. Dann aber stehe dringend eine Ausreinigung an, sonst würden die Pfeifen durch das Stimmen arg beschädigt: Durch die Verschmutzungen und dadurch unsauberen Klang, müsse er dieselbe Pfeife mal höher, mal tiefer stimmen, je nachdem, wo sich der Staub in der Pfeife gerade angesetzt hätte.
So, und was mit einem dünnen Metall passiert, wenn es mit scharfer Kante mal in die eine , dann in die andere Richtung (bzw. wieder zurück-) gebogen wird, könnt ihr euch ja sicher denken..
Ob die Pfeifen in St.Othmar wirklich nicht mehr zu retten waren, oder ob "nur" etliches gelötet und restauriert werden hätte müssen, kann ich aber natürlich auch nicht beurteilen.
Es gibt nichts in der Welt, das so wertvoll wäre, wie der Herzensfrieden. ~Franz v. Sales~
Ein Orgelbauer hat mir soeben in WhatsApp erklärt, alte Pfeifen könnten aufgrund der Zinnpest porös und daher nicht mehr stimmbar sein. Das könnte möglicherweise mit "dünnwandigen, nicht mehr stimmbaren Pfeifen" gemeint gewesen sein.
Ein anderer Orgelbauer erklärte mir, durch oftmaliges Stimmen kann es zu Verschleißerscheinungen an den Stimmrollen kommen, dass sie abbrechen und damit nicht mehr stimmbar sind. Kleine Pfeifen könnten im Labiumbereich einknicken und das wäre auch das Ende einer Pfeife.
Aus metallurgischer Sicht gibt es verschiedene Aspekte, die möglicherweise das Leben einer metallischen Orgelpfeife beeinträchtigen oder sogar beenden können:
1. Normale Abwitterung, auch flächenmässige Korrosion genannt, spielt keine Rolle, da dies nur bei der Witterung ausgesetztem Material stattfindet. Diese führt tatsächlich zu einer Wandstärken-Abnahme, zum Beispiel beobachtet man dies bei Dacheindeckungen aus nichtrostendem Stahl. Bei Orgelpfeifen ist dies, wie angedeutet, kaum bis nicht relevant. So gesehen sind keine nennenswerten Wandstärken-Reduzierungen der Orgelpfeifen zu erwarten.
2. Kaltverfestigung durch Umformung unterhalb der sogenannten Rekristallisationstemperatur führt zu einer Erhöhung der Festigkeitseigenschaften (dies sind Dehngrenze und Zugfestigkeit), vermindert aber gleichzeitig die Duktilität, also das Umformvermögen. Das kennt jeder aus dem "Büroklammer-Test", nach mehrmaligem Biegen bricht der Draht der Büroklammer. Ausserdem biegt er sich nie an der gleichen Stelle wie zuvor - aufgrund der Verfestigung - zurück. Nebst der Verschlechterung der Duktilität vermindert sich auch noch die Zähigkeit, also der Widerstand gegen schlagartige Beanspruchung; man nennt dies Versprödung. Diese Phänomene können bei Orgelpfeifen eine Rolle spielen im Bereich der Stimmrollen, allerdings wegen der relativ weichen Legierungen erst bei sehr häufigen Stimmvorgängen.
3. Die mechanischen Eigenschaften der Pfeifen-Legierungen aus Zinn, Blei und eventuell weiteren Legierungselementen sind vergleichsweise tief, vor allem im Vergleich zu Stahlwerkstoffen, so dass beobachtet werden kann, dass sich die Pfeifenfüsse nach längerer Zeit verformen und die Orgelpfeifen "einsinken". Dieses "Kriechen" genannte metallkundliche Phänomen (Umformung ohne Zunahme der mechanischen Druck- oder Zugspannung) tritt bei vielen metallischen Werkstoffen erst bei höheren Temperaturen, aber bei Spannungen unterhalb der statischen Dehngrenze auf, beispielsweise bei thermischen Turbinen im Kraftwerk- und Flugzeugbau; bei Blei-Zinn-Legierungen jedoch auch bereits bei tieferen Temperaturen. Orgelpfeifen sind davon hin und wieder betroffen.
4. Allotrope Umwandlungen in der Kristallstruktur: hier kommt es zu regelrechter Zerstörung von Zinn-Legierungen, wenn sie von einer - sorry für die Fachausdrücke - tetragonalen Beta-Struktur in eine kubische Alpha-Struktur umwandeln. Dies geschieht unter Volumenzunahme ohne chemische Veränderung oder Oxidation bei Temperaturen unterhalb von 13.2 °C und ist bei Orgelpfeifen schon manches Mal für deren Tod ursächlich gewesen. Das Phänomen ist unter dem Begriff Zinnpest bekannt. Legierungstechnische Abhilfe ist die Zugabe von Wismut und Antimon in die Metallschmelze, was früher jedoch nicht möglich und somit unüblich war.
Man sieht also, dass für die Beurteilung der Weiterverwendungsfähigleit von metallischen Orgelpfeifen verschiedene Aspekte eine Rolle spielen und beurteilt werden müssen. Inwieweit dies in dem von Roman geschilderten Fall geschehen ist, wissen wir nicht.