Die Böhm-Aufnahme kommt mir übersteuert vor. Das kann man sich wegdenken. Ich finde den Klang ziemlich authentisch. Die Johannus-Aufnahme ist ein bißchen dumpf, wie von einer Kassette. Dennoch gefällt mir die Johannus-Aufnahme viel besser. Sie klingt vielleicht weniger nach Pfeifenorgel als die Böhm-Aufnahme, aber ich finde den Klang ausgewogener und schöner, besser als viele Aufnahmen digitaler Instrumente. Ich vermutete aufwendigere Elektronik als bei Böhm, bessere Intonation, bessere Abstrahlung, und der Raum trägt seinen Teil bei. Im Falle einer Abstimmung wäre ich ganz klar für die Johannus-Orgel.
Für mich haben beide Aufnahmen eher nostalgischen - man könnte fast sagen sakralorgelhistorischen - Wert, als Klanggenuss würde ich mir beide heute nicht mehr anhören. Die Böhm hat neobarock-orientierte Mixturen und Aliquoten, die als solche ziemlich gut gemacht sind, aber eben keine Gravität. Die Johannus-Aufnahme wirkt auf mich - bei aller Johannus-Liebe ! - wie eine akkordüberladene Plastik-Sauce, was aber auch daran liegen mag, dass die Musik nicht meinen Geschmack trifft. Möglicherweise würde mir eine Bach-Einspielung auf dieser Orgel deutlich besser gefallen. Die bei neueren Digitalorgeln bereits fast obligate Winddruck-Simulation fehlt natürlich in beiden Aufnahmen völlig, früher wäre mir das wahrscheinlich gar nicht aufgefallen, aber nachdem ich die Winddrucksimulation bei meiner Physis-Orgel ziemlich stark eingestellt habe, vermisse ich diese bei älteren Sakralorgel-Aufnahmen wie diesen.
Bei der Böhm-Aufnahme würde ich auch nicht von Klanggenuß reden. Da habe ich reingehört, um einen Eindruck zu bekommen, kann es aber nicht längere Zeit ertragen.
Die Johannus-Aufnahme hingegen ist für mich etwas, das ich gern angehört und als schön empfunden habe. Das ist für mich Musik.
Wenn Du bei Deiner Physis-Orgel starke Winddruckschwankungen einstellen mußt, damit sie Dir gefällt, dann spricht das doch eigentlich nicht für das zugrundeliegende Klangmaterial. Bei einer Pfeifenorgel versucht man gerade umgekehrt, so etwas zu vermeiden.
Die historischen Aufnahmen sind in der Tat nur begrenzt zu vergleichen, sie geben nur einen gewissen Einblick. Die Johannus-Aufnahmen entstanden in einer Kirche mit entsprechender Abstrahlung, die Böhm nicht, das macht schon einen großen Unterschied. Johannus ist rein sakral, Böhm nicht.
Man muss sich auch nur alle Einflüsse auf die Aufnahmen vor Augen halten:
- unterschiedliche Stücke / Spieler - die jeweilige analoge Tonerzeugung - Klangideale des Konstrukteurs - die Abstrahlung (intern/extern) - Wiedergaberaum / Hall - Aufnahme (Mikrofone, Aufstellung) - LP-Produktion insgesamt - Digitalisierung (Plattenspieler, LP-Zustand, Postproduction) - Wiedergabe (Kopfhörer, Lautsprecher (HiFi, Monitore)) ...
Selbst mit aktuellen Orgeln ist ein Vergleich über Aufnahmen / Videos schwierig ... Der Live-Eindruck und selber probieren ist durch nichts zu ersetzen (der ist auch höchst subjektiv - Physiologie und Psychologie des Hörens)
Zitat von emsig im Beitrag #25Die Johannus-Aufnahme hingegen ist für mich etwas, das ich gern angehört und als schön empfunden habe. Das ist für mich Musik.
Natürlich gönne ich jedem seinen Musikgenuss, wie immer der individuell aussehen mag.
Zitat von emsig im Beitrag #25Wenn Du bei Deiner Physis-Orgel starke Winddruckschwankungen einstellen mußt, damit sie Dir gefällt, dann spricht das doch eigentlich nicht für das zugrundeliegende Klangmaterial. Bei einer Pfeifenorgel versucht man gerade umgekehrt, so etwas zu vermeiden.
Das sehe ich nicht so: Sogar der beste Pfeifenklang wirkt ganz ohne Winddruckfluktuation kalt und steril, zumindest für mich. Ich sage immer: Der Klang einer richtig schönen Pfeifenorgel fluktuiert wie die Flamme einer Kerze in einer ruhigen, windstillen Umgebung. Die völlige Vermeidung von Winddruckfluktuationen einer Pfeifenorgel - die übrigens kaum möglich ist - würde den Klang der Sterilität einer analogen oder früh-digitalen Orgel annähern, gute Orgelbauer wissen das. Auch bei meiner Digitalorgel achte ich darauf, dass die Fluktuation ein ästhetisches Maß nicht übersteigt, aber eben doch deutlich hörbar ist.
Zitat von Romanus im Beitrag #27 Die völlige Vermeidung von Winddruckfluktuationen einer Pfeifenorgel - die übrigens kaum möglich ist - würde den Klang der Sterilität einer analogen oder früh-digitalen Orgel annähern, gute Orgelbauer wissen das.
Hast Du dazu Referenzen? Adelung schreibt ausführlich über den Einfluß des Winddrucks und der Windladengestaltung auf den Klang, auf die Obertonzusammensetzung, auch über den allmählichen Aufbau des Winddrucks in der Pfeife beim Drücken einer Taste und den daraus folgenden sanften Klangaufbau. Aber nirgendwo, daß ein fluktuierender und von der Anzahl der spielenden Pfeifen abhängiger Winddruck wünschenswert wäre. Im Gegenteil wird einiger Aufwand getrieben, um genau das zu vermeiden. Im Kapitel über das Gebläse schreibt er zum Beispiel:
ZitatVor den Windladen der einzelnen Manuale sind schon bei mittelgroßen Orgeln in den Windkanal Ausgleichsbälge eingebaut – ähnlich wie Magazinbälge –, um Windschwankungen während des Spieles auszugleichen.
Usw., und dann noch ein Lob der heutigen, leistungsstarken elektrischen Gebläse, "die schnell Wind nachfördern, auch wenn sehr viel gebraucht wird".
Kennst Du Orgelbauer, die die Winderversorgung mit Absicht so gestalten, daß der Klang bei vollem Spiel absackt? Ich kann mir das nicht so richtig vorstellen. Das ist etwas, was man nicht will, auch nicht ein bißchen davon, und hat nichts mit Lebendigkeit des Klangs zu tun. Die kommt anderswoher.
Damit will ich nicht sagen, daß es falsch wäre, so eine Funktion in der Software zu haben. Es ist völlig berechtigt, auch Fehlerhaftigkeit simulieren zu wollen.
Natürlich soll die Orgel nicht hörbar "asthmatisch" werden, das würde auch die Musik stören, es kommt eben immer auf das richtige Maß an. Dennnoch ist ein völlig starrer Klang unnatürlich und steril und auch bei Pfeifenorgeln nicht wünschenswert und ja, ich habe Referenzen: Als 1988 meine Dienstorgel als Barockorgel rekonstruiert wurde, empfahl der Orgelbauer Gerhard Hradetzky entgegen dem Wunsch meines Vorgängers ausdrücklich KEINEN völlig stabilen Winddruck, sondern den historischen Vorbildern entsprechend eine lebendige Fluktuation und setzte sich damit auch durch. Die Orgel gilt übrigens unter Kennern als eine der klangschönsten Wiens. Du wirst übrigens bei keiner Pfeifenorgel einen völlig starren Klang ganz ohne Fluktuation finden, sowas gibt es nur bei analog-elektronischen und früh-digitalen Orgeln.
Natürlich hat eine Pfeifenorgal keinen starren Klang. Die Frage wäre, ob die Lebendigkeit durch Winddruckschwankungen kommt oder die sonstige Komplexität der Klangerzeugung und das Zusammen- und Aufeinanderwirken der Pfeifen. Bei den elektronischen Instrumenten wird so vielleicht etwas vorgetäuscht, das eigentlich aus der Klangerzeugung selbst kommen müßte, aber dort fehlt und auch gegenwärtig nicht rechnerisch hinzugefügt werden kann.
Was passiert genau, wenn Du bei Deinem Instrument die Windstabilität verringerst? Wie genau ändert das den Klang? Wird der Obertongehalt jeder einzelnen Pfeife individuell dynamisch geändert, oder wird bloß mit dem Summensignal irgendwas gemacht, gefiltert oder die Tonhöhe variiert?
Kirchenorgel-Forum
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09.03.2023 19:40
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